Nach der bitteren Final-Niederlage in der Champions League: Ein trauriger, stolzer und ziemlich trotziger BVB will “nächste Saison wieder massiv angreifen” – muss sich dafür aber beinahe neu erfinden.
Am Ende war Borussia Dortmunds Vollgasfußball doch noch im Museum angekommen – trotz der bitteren 1:2-Niederlage im Finale der Champions League gegen den FC Bayern. Allerdings nicht im vereinseigenen Borusseum im früheren Westfalenstadion, in dem Trainer Jürgen Klopp seiner leidenschaftlichen Mannschaft so sehr den Ehrenplatz gewünscht hätte. Sondern vorerst nur im Natural History Museum in London. Im romanischen Prachtbau aus dem 19. Jahrhundert wollte der BVB eine rauschende „schwarz-gelbe Night“ feiern. Stattdessen war Wunden lecken angesagt, trösten und Kummer ertränken. Zwischen Saurier-Skeletten und Fossilien versuchten die müden BVB-Helden, nicht selbst wie eine aussterbende Art zu wirken. Eine bedrohte Spezies sind sie aber vermutlich doch.
Watzke mit einer Kampfansage
„Es fühlt sich immer noch ein bisschen scheiße an“, sagte Hans-Joachim Watzke auf der Party mit gedämpfter Stimmung frei von der Leber weg. Der Ärger über die vergebene historische Chance, nach 1997 zum zweiten Mal den Thron des europäischen Klubfußballs zu erklimmen, war allgegenwärtig. Nur langsam wollte der angemessene Stolz in die Gedanken der Verlierer aufsteigen, Teil eines der besten Endspiele der Königsklasse gewesen zu sein. Dortmunds Geschäftsführer überspielte die schwierige Gemütslage dann aber mit einer gehörigen Portion Trotz: „Wir werden auch nächste Saison eine Mannschaft haben, die mindestens ebenso gut ist und wieder ganz massiv angreifen.“
Wie die Westfalen das allerdings hinbekommen wollen, noch einmal so unbeschwert und eindrucksvoll durch Europa zu pflügen und nachträglich ein Happy End für ihr Fußballmärchen zu finden, dürfte eine der spannendsten Fragen der näheren Zukunft werden. Die Aufgaben scheinen enorm. Nach dem Abgang von Jungstar Mario Götze droht auch der vorzeitige Wechsel von Topstürmer Robert Lewandowski immer akuter. Bayerns Trainer Jupp Heynckes hatte nach Spielschluss angedeutet, diese Personalie werde vermutlich sehr bald zugunsten der neuen Könige Europas geklärt. BVB-Außenverteidiger Lukasz Piszczek wird um eine Hüftoperation nicht länger herumkommen und Monate ausfallen. Wann Allzweckwaffe Kevin Großkreutz wieder zur Verfügung steht, der sich ab der 70. Minute gegen die Münchner vermutlich mit einem Mittelfußbruch heroisch durchs Spiel quälte, steht noch gar nicht fest.
Stürmersuche könnte schwierig werden
Während ein Götze-Ersatz und künftiger Regisseur – ob aus dem existierenden Kader kommend oder von außen – in jedem Falle erst wirksam ins Team implantiert werden muss, wollen die Europapokal-Helden mit ihren gewachsenen eigenen Ansprüchen bei der Stange gehalten werden. „Dieses Jahr ist nicht der richtige Zeitpunkt zu gehen“, sagte etwa der angeblich vom FC Barcelona umworbene Mats Hummels nach dem verlorenen Finale in der Mixed Zone scheinbar entwarnend. Der Nationalspieler fügte dann aber den furchtbaren Nachsatz an, der jedem Dortmund-Fan Angstschweiß auf die Stirn treibt: „Vielleicht kommende Saison.“ Schwarz-gelb ist europaweit begehrt und die Konkurrenz bleibt auf der Jagd. Auch Trainer Klopp ist trotz seines Vertrages bis 2016 längst in den Fokus der absoluten Topklubs geraten. Die Fluch der guten Tat.
Zur neuen Saison muss sich der BVB beinahe neu erfinden. Der Umbruch ist jedenfalls enorm und vor allem: er drängt, nachdem zuletzt selbst die Personalplanung hinter dem alles überstrahlenden Ziel Champions-League-Sieg zurückstehen musste. „Wir werden in den nächsten Wochen erst einmal viel Arbeit haben, ein neues Team zu bauen, bevor es in den Urlaub geht“, kündigte Jürgen Klopp an, der trotz der sensationellen Champions-League-Saison wohl vor seiner schwierigsten Saison beim Revierklub steht und den Wandel moderieren wird. „Wir müssen Spieler kaufen, weil viele andere Teams unsere Spieler kaufen wollen.“ Der Wechsel des Defensiv-Allrounders Sokratis von Werder Bremen gilt als sicher, dazu mehren sich die Hinweise, dass auch Mittelfeld-Hoffnung Kevin de Bruyne den Weg von der Weser nach Westfalen findet. Gesucht wird mit Hochdruck ein Topstürmer. Aber da muss der BVB warten, bis Europas Großklubs das Transfer-Karussell lostreten und welche Optionen den Dortmundern dann bleiben.
Der BVB steht vor ganz neuen Problemen
Geld dürfte nicht das Problem sein, davon ist wieder genug da in Dortmund. Der Triumphzug in der Champions League sowie die Abgänge von Götze und Lewandowski allein füllen die Kriegskasse mit schätzungsweise 130 Millionen Euro. Vielmehr steht der BVB vor der strategischen Entscheidung, welcher Weg künftig eingeschlagen werden soll. Wenn die Borussia wirklich „massiv investieren wird diesen Sommer“, wie Watzke das im Übrigen schon vor einigen Monaten ankündigte, wird das sympathische BVB-Projekt schlicht ein komplett anderes und der Abschied von einer gewissen Fußballromantik unausweichlich.
Die jugendliche Rasselbande ist passé. Dortmund ist erwachsen geworden und will offenbar mit aller Macht seinen Platz als Nummer zwei im deutschen Fußball konsolidieren und auch international regelmäßig Fußballfeste feiern. Dazu braucht es aber auch einen Kader, der qualitativ deutlich breiter aufgestellt ist als der aktuelle. Sprich: Weitere drei, vier neue Spieler von Format werden bestimmt geholt und damit automatisch auch Probleme, auf die weder der BVB noch Klopp bislang vorbereitet sind.
Klopp kämpferisch: “Wir werden bald wieder in einem europäischen Endspiel stehen”
Immerhin hatte Berufsoptimist Klopp schon lange vor der Museumsparty als erster Dortmunder die Fassung wiedergefunden. Noch während die geknickten Spieler auf dem Rasen des englischen Fußball-Mekkas Wembley mit Tränen in den Augen ansehen mussten, wie sich die anderen den silbernen Henkelpott schnappten, versprach er seinem Team: „Wir werden bald wieder in einem europäischen Finale stehen.“