Der Chef flüchtet auf Toilette, der Trainer in Gottes Hand. Champions-League-Finalist Borussia Dortmund bietet beim irren Rückspiel bei Real Madrid wie immer: Unvergessliches.
Spaniens König Juan Carlos wird diese Partie nie vergessen – und seinen Sitznachbarn Hans-Joachim Watzke vermutlich genauso wenig: Beim Stande von 2:0 für Real Madrid machte sich der komische Deutsche einfach aus dem Staub, ließ Royal Royal sein und schloss sich kurzerhand auf der nächstgelegenen Toilette ein, weil er die Dramatik nicht mehr ertrug. Das Bernabeu-Stadion kochte und ewig lange fünf Minuten Nachspielzeit ohne weiteres Gegentor waren für Borussia Dortmund und seinen Chef noch zu überstehen, um ins Finale der Champions League einzuziehen. „Ich musste das erste Mal in meiner Karriere wegen akuter Herzprobleme die Tribüne verlassen“, erklärte Watzke später. Wie vermutlich die gesamte schwarz-gelbe Gemeinde bibberte der BVB-Geschäftsführer dem Abpfiff entgegen, nur an einem stilleren Örtchen. Erst als er minutenlang keine Jubelstürme mehr hörte, wusste der 53-Jährige: „Wir haben es geschafft.“ Sein Team steht im größten Endspiel, das der Klubfußball zu bieten hat. Zum zweiten Mal nach dem Sieg 1997.
„Unseren Fußball gibt es eben nur alles inklusive“, sagte ein stolzer, glücklicher und bestimmt ähnlich erleichterterer BVB-Trainer Jürgen Klopp nach der denkwürdigen Partie in Madrid. Maximale Show, maximale Emotion, maximales Drama. Und manchmal halt auch ein Tanz auf der Rasierklinge wie gegen den Lieblingsklub des spanischen Regenten. Zum wiederholten Male hatte Klopps Mannschaft eine wilde Darbietung geliefert: hatte die wilde Anfangsphase der Gastgeber mit Glück, Geschick und Roman Weidenfeller im Tor schadlos überstanden; hatte um den überragenden Mats Hummels selbst das Kommando übernommen und den früheren Galaktischen nach allen Regeln der Taktik-Kunst den Zahn gezogen; hatte sich nicht von den ungeahndeten Nickligkeiten der Real-Stars aus der Ruhe bringen lassen; hatte aber leichtfertig durch Robert Lewandowski und Ilkay Gündogan vier hundertprozentige Chancen vergeigt, die das Halbfinale nach dem komfortablen 4:1-Sieg aus dem Hinspiel eigentlich frühzeitig entscheiden mussten; und hatte dann doch noch aus dem Nichts in der 83. und 89. Minute zwei Tore durch Karim Benzema und Sergio Ramos kassiert und plötzlich das große Ziel wieder aufs Spiel gesetzt.
“Eine der außergewöhnlichsten Leistungen der letzten Jahre”
Ein dritter Trefferder Madrilenen hätte die „Operacion tres zero“ perfekt gemacht, das von den Spanier so herbeigesehnte Wunder. „Si se puede“ hallte es in der irren Schlussphase in Orkanstärke durchs Bernabeu – frei übersetzt: „Wir schaffen das!“ Die Real-Fans glaubten daran, die Dortmund-Fans fürchteten das, und selbst Kontroll-Freak Klopp hatte sich da längst fatalistisch in den Lauf der irdischen und überirdischen Dinge gefügt.
„Nach dem zweiten Gegentreffer dachte ich: Wenn der Liebe Gott will, dass wir ins Finale kommen soll, werden wir es schaffen. Wenn er andere Pläne hat, dann eben nicht“, sagte der BVB-Trainer, der sehr gläubig ist, damit aber nie hausieren geht. Der Coach, der auf seiner ersten Trainerstation in Mainz schon herzzerreißende Erlebnisse in Form dramatisch verpasster Aufstiege erlebte, hätte auch den Alptraum des Ausscheidens hingenommen nach dieser fantastischen Königsklassen-Kampagne seiner Mannschaft, die den BVB zum heißesten Team Europas machte. Aber so war es natürlich noch viel schöner und ließ den obersten BVB-Übungsleiter schwelgen. „Ich bin so stolz auf mein junges Team. Das war eine der außergewöhnlichsten sportlichen Leistungen der letzten Jahre.“ Drama, Baby!
Mourinho: “Dortmund spielt schneller und intensiver”
Auf den Finaleinzug bezogen ist das sicher eine korrekte Aussage. Aber selbst die Partie im Bernabeu, die Dortmund im vorletzten Spiel nebenbei den Nimbus der Unbesiegbarkeit in der Champions League stahl, ist nicht hoch genug einzuschätzen in sportlicher Hinsicht. 83 Minuten beeindruckte Dortmund durch taktische Finesse und spielerische Überlegenheit gegen das mit Superstars gespickte Team der Spanier, so dass selbst dessen Trainer Jose Mourinho verzweifelte. „Wir hatten es heute mit einer Mannschaft zu, die schneller und intensiver spielt als wir“, sagte Reals superselbstbewusster Trainer, der in Klopp wie schon in der Gruppenphase seinen Meister fand.
Ein letztes Mal in der perfekten Rolle
Dass es am Ende für die Dortmunder noch so knapp wurde, ist allen beim BVB in der Rückschau herzlich egal. „Die 97er-Mannschaft ist glücklicher ins Finale gekommen“, erinnerte Sportdirektor Michael Zorc, damals Kapitän des Überraschungssiegers, an das dramatische Halbfinale bei Manchester United, in dem Verteidiger Jürgen Kohler auf der Linie liegend angeschossen wurde und so das Aus verhinderte. 16 Jahre später steht der BVB am Ende natürlich zu Recht im Endspiel. Kevin Großkreutz, der für den früh mit einem Muskelfaserriss ausgewechselten Mario Götze aufs Feld geworfen wurde, fasste es in seine typischen Worte: „Wir sind so eine geile Truppe, haben so geile Fans und sind so ein geiler Verein. Wir haben es einfach verdient.“
Und der Weg muss nicht zu Ende sein für diesen „geilen Klub“. Im großen Finale am 25. Juni in Wembley, vermutlich gegen die aktuelle Übermannschaft der Bundesliga, den FC Bayern, sind die Schwarz-Gelben dann ein weiteres Mal nur Außenseiter, was Klopp hoch erfreut angesichts der vorherigen Erfolge in dieser Saison gegen die hoch gehandelten Meister aus England, Spanien, Holland und der Ukraine. Manchester City, Real Madrid gleich doppelt, Ajax Amsterdam und Schachtar Donezk mussten bereits dran glauben, warum nicht als nächstes der kommende deutsche Titelträger? „Das ist die perfekte Rolle für uns.“ Eine große Show ist sowieso garantiert im Finale – dafür steht der BVB-Fußball.