Einen längeren Schatten kann man sich kaum vorstellen: Bei der 47. Ausgabe des Super Bowls gilt es, Joe Montana und Steve Young nachzueifern, den Quarterback-Legenden der San Francisco 49ers. Deren aktueller Spielmacher Colin Kaepernick will gleich bei seiner Final-Premiere in New Orleans ins Rampenlicht treten und an die Erfolge der Superstars der 80er- und 90er-Jahre anknüpfen.
Im zweiten Profijahr gleich auf der großen Bühne
„Es wäre eine Riesenehre, mit beiden in einem Atemzug genannt zu werden“, sagt der 25-Jährige. Zwar freuen sich die Fans der 49ers schon, nach 18 Jahren überhaupt mal wieder im Finale der National Football League NFL zu stehen. Aber weil Montana und Young alle fünf Endspiele der Team-Geschichte gewannen, geht es in der Nacht auf Montag gegen die Baltimore Ravens natürlich auch um die perfekte Bilanz.
Zuzutrauen wäre dem Shooting-Star der Erfolg im ersten Anlauf. Kaepernick gehört zu den großen Überraschungen dieser Saison. Erst im zweiten Drittel der Spielzeit rückte Kaepernick bei den leicht favorisierten 49ers in die offensive Startformation, nachdem sich Stamm-Quarterback Alex Smith in der zehnten Partie eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Der Ersatz nutzte seine Chance eindrucksvoll und gab den Platz auf dem Feld nicht mehr her. Mit lediglich acht Einsätzen von Beginn an katapultierte er sich gleich im zweiten Profijahr auf die größtmögliche Sportbühne der USA.
Eigenartiger Touchdown-Tanz
Kaepernicks Stärke ist die Athletik. Oft wird er mit dem jungen Michael Vick verglichen, der vor einigen Jahren mit Wucht auf die Liga traf und die gegnerischen Defensiven schwindelig spielte. Kaepernick hat einen ähnlich starken Wurfarm für präzise Pässe, und mit 1,93 Metern ist er sogar noch zehn Zentimeter größer gewachsen als Modellathlet Vick. Aber vor allem hat der 49er ebenso flinke Beine: Schon in seiner Debütsaison wurde er daher für Trickspielzüge eingewechselt. In seiner blitzartigen NFL-Karriere trug er schon sieben Mal selbst das Leder-Ei in die gegnerische Endzone und führte seinen kleinen Touchdown-Tanz auf, den er sich am liebsten patentieren würde: den Kuss des eigenen Bizeps.
Quarterback der neuen Generation
Gleich in seinem ersten Playoff-Spiel knackte er Vicks elf Jahre alten Rekord für erlaufene Yards eines Quarterbacks. Beim 45:31 über die Green Bay Packers zeigte Kaepernick ausgerechnet seinem früheren Lieblingsteam die Hacken und erarbeitete sich unfassbare 181 Yards – selbst für die darauf spezialisierten so genannten Running Backs ist das eine stolze Marke. Die Gegner wissen einfach nicht, was sein nächster Spielzug sein wird. Wirft er weit? Gibt der den Ball für ein Laufspiel ab? Oder übernimmt er den Job doch lieber selbst? Dieser Reichtum an Varianten macht Kaepernick so gefährlich und zu einem Prototypen der Quarterbacks der neuen Generation.
“Mein Talent ist mein Fluch” – von wegen!
Als Baby war Kaepernick zur Adoption frei gegeben worden, und dann bei einer Familie in Wisconsin aufgewachsen, die später nach Kalifornien zog. Bis heute verweigert er den Kontakt zu seiner leiblichen Mutter, einer früheren Krankenschwester. Stets stand der Sport im Mittelpunkt des jungen Colin. Die Karriere als Basketballer war eine Option, vom Baseballteam Chicago Cups bekam er 2009 sogar ein Jobangebot. Doch für den Football-Freak war immer klar, welche Sportart er beruflich ausüben würde. Schon in der vierten Klasse versprach er sich in einem selbstadressierten Brief, dass er Profi bei den Packers oder den 49ers sein werde. Mit der Endspielteilnahme für das Team mit den goldenen Helmen hat der über den ganzen Körper Tätowierte den eigenen Traum längst übererfüllt. Der Schatten von Montana und Young hin oder her – Kaepernicks Lieblingstattoo scheint angesichts der steilen Karriere vielleicht doch etwas zu vorsichtig formuliert: „Mein Talent ist mein Fluch.“