Ein unnötiger Platzverweis gegen die Borussia und insgesamt vier irreguläre Treffer: FIFA-Schiedsrichter Wolfgang Stark macht sich bei der skurrilen Pleite des Meisters gegen den VfL Wolfsburg keine Freunde und zeigt erst spät Reue.
Mit dieser Retro-Tour in dunkelste Bundesligazeiten hatten wohl selbst die traditionsbewussten Dortmund-Fans nicht gerechnet. „Das ist der Fußball, den wir lieben“, verkündete ein Plakat vor der Südtribüne, doch angesichts des verrückten Geschehens auf dem Rasen wirkte das Plakat wie Hohn. Gemünzt war es eigentlich auf die Fankultur, um die zurzeit bundesweit mit Schweigeminuten und Demos gekämpft wird. Aber es war eine Schiedsrichterleistung, welche die bittere 2:3-Heimpleite von Meister Borussia Dortmund gegen den VfL Wolfsburg wie einen Ausflug in ferne, allerdings wenig erinnerungswürdige Vergangenheit aussehen ließ. Kein Wunder, dass BVB-Chef Hans-Joachim Watzke nach der Partie bei Sky schäumte, als habe ein Guerilla-Trupp das Westfalenstadion über Nacht königsblau gestrichen: „Das war eine unfassbare Fehlentscheidung. Dafür habe ich kein Verständnis.“
Klopp: “Damit war dem Chaos Tür und Tor geöffnet”
Schiedsrichter Wolfgang Stark war das Ziel des BVB-Zorns. Unter Regenschirmen wurde er vom Platz eskortiert wie in Urväter-Zeiten, um Bierbecher, Feuerzeuge und andere potenzielle Wurfgeschosse des wütenden Publikums abzuwehren. So krass wie der völlig überforderte FIFA-Referee hat vermutlich seit Ewigkeiten kein Unparteiischer mehr in der Eliteklasse daneben gelegen. Auch wenn es manchmal schwer zu sehen war: gleich vier der fünf Treffer (!) des Nachmittages fielen unter irregulären Umständen. Nur das Siegtor durch Bas Dost (73.) war über alle Zweifel erhaben. Starks schlimmster Fehler in der 35. Minute verschob die komplette Statik des Spiels: Bei einem Wolfsburger Angriff übersah er erst, dass Vieirinha im Abseits stand, beim folgenden Torschuss von Dost wertete er Marcel Schmelzers artistische Rettungstat auf der Linie fälschlicherweise als Handspiel: Rot für den Dortmunder. Elfmeter für die Gäste, den Diego sicher verwandelte. So hob Stark die Partie auf ein falsches Gleis. „Damit war hier dem Chaos Tür und Tor geöffnet“, sagte BVB-Trainer Jürgen Klopp bei LIGA total!.
Dortmund schnürt die Wölfe ein
Denn zuvor waren seine Mannschaft haushoch überlegenen und an einen Wolfsburger Erfolg nicht im Traum zu denken. „Bis zur 35. Minute habe ich ein außergewöhnliches Spiel meiner Mannschaft gesehen, vielleicht das beste seit ewigen Zeiten“, schwärmte Klopp nicht ganz zu Unrecht. Marco Reus hatte die schwarz-gelbe Kombinationsmaschine mit einem perfekten Freistoßtor früh ins Rollen gebracht (6.). Allerdings stand Teamkollege Robert Lewandowski dabei knapp im Abseits. Danach zauberten die Dortmunder nach Belieben und wirklich hübsch anzuschauen. Sie schnürten die Gäste ein und machten nur den Fehler, den Sack nicht zuzumachen. „Im letzten Drittel des Feldes waren wir zu verspielt“, kritisierte auch Klopp.
Gelb gegen Gedankenschnelligkeit
Und so war die Partie trotz Einbahnstraßen-Fußball offen für weitere Volten. Nach dem glücklichen Ausgleich legten die Wolfsburger noch vor der Pause nach. Makoto Hasebes Freistoß setzte Naldo kunstvoll volley zum 1:2 ins Netz (40.), doch auch hier stand ein Spieler im Abseits: Abwehrkollege Simon Kjaer behinderte die Sicht von Dortmunds Keeper Roman Weidenfeller. Das Publikum kochte, ließ längst vergessene Schiri-Hassgesänge wieder aufleben, und dem auf größter Bühne erfahrenen Stark glitt die Partie nun völlig aus den Händen. Mit unverständlichen Entscheidungen und unnötigen Gelben Karten brachte er beide Teams gegen sich auf. Im zweiten Durchgang gestand Stark dem BVB gleich mehrere Freistöße oder Ecken zu, obwohl diese sehr strittig waren. Und nach gut einer Stunde quälte ihn sein Gewissen wohl so sehr, dass er bei einen normalen Zweikampf zwischen Kjaer und Lewandowski auf Strafstoß entschied. Kuba ließ sich das Geschenk zum zwischenzeitlichen 2:2 nicht entgehen (61.). Nach der erneuten Führung der Wölfe wurde es immer hektischer. Weidenfeller und Mario Götze legten sich mit der Bank der Gäste an, die frech Bälle aufs Feld warf, um den Spielfluss zu unterbrechen. Stark ließ das alles zu, dagegen gab er Götze Gelb, nur weil dieser kurz vor Schluss einen Freistoß schnell ausführte.
Friedensnobelpreis für Schmelzer?
Dortmunds Trainer Klopp war angesichts der offensichtlichen Ungerechtigkeiten für seine Verhältnisse cool geblieben, auch während des Spiels. Nur einmal sank er vor dem vierten Offiziellen Sascha Stegemann auf die Knie und flehte mit etwas zuviel Show um Gnade beim DFB. „Das ist brutal hart“, klagte der BVB-Coach nach der Partie. „Bei 11 gegen 11 gibt es nur einen Sieger. Selbst in Unterzahl haben wir ja noch mehr Ballbesitz gehabt als Wolfsburg.“
Offene Kritik am Referee vermied Klopp aber, lieber schluckte er den Ärger über die dritte Saisonniederlage runter. Stattdessen fungierte er als Anwalt von Schmelzer und diente seinem Spieler wortwörtlich den Friedensnobelpreis an, weil dieser die Fehlentscheidung klaglos hingenommen hatte. In der Hoffnung natürlich, dass der Außenverteidiger trotz Platzverweis nicht vom Verband gesperrt werde. Offensichtlich mit Erfolg, denn mittlerweile hat Stark erklärt: „Es war ein klarer Fehler. Es tut mir leid.“ Der Kontrollausschuss des DFB hat zudem bekanntgegeben, kein Verfahren gegen Schmelzer einleiten zu wollen.
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