Sieg verpasst, Respekt gewonnen: Das frühere Europapokal-Sorgenkind Borussia Dortmund zelebriert im Stadion des großen Favoriten Real Madrid die nächste Gala in der Champions League.
Nach dem herausragenden Fußball-Abend im Estadio Santiago Bernabeu wollte Jürgen Klopp gar nicht erst damit anfangen zu lamentieren, obwohl es gute Gründe gab. Wieder ein Gegentor fast mit dem Schlusspfiff, wieder den Sieg auf dramatische Weise verspielt. Stattdessen stellte der Trainer nüchtern, aufgeräumt und beinahe demütig fest: „Wir hätten hier gerne glücklich gewonnen. So haben wir verdient einen Punkt geholt.“ So weit ist es gekommen mit Europas früherem Sorgenkind Borussia Dortmund: Nach einer Weltklasse-Halbzeit und einem mehr als ehrenwerten 2:2 bei Real Madrid im Gruppenspiel der Champions League spricht der Revierverein dem berühmtesten Klub der Welt gönnerhaft einen Zähler zu.
Zorc will noch nicht stolz sein
Sieg und Sensation – dieses Begriffspaar entwickelt sich beim Deutschen Meister endlich angemessen weit auseinander. Im zweiten Anlauf in der Königsklasse wird immer deutlicher, welch rasante Entwicklung die Borussia gerade nimmt auf internationalem Terrain. Auf dem Platz ist sie derart gereift, dass nach der Millionen-Truppe von Manchester City nun auch das große Real vor eigenem Publikum nur mit aller Gewalt und ein wenig Glück eine drohende Niederlage abwenden konnte. Und in den Köpfen der Dortmunder stecken längst andere Ziele: „Wir sind zufrieden für den Moment, aber stolz können wir erst sein, wenn wir was erreicht haben“, diktierte Sportdirektor Michael Zorc trocken in die Mikrofone.
Klopp: “Mehr kann man nicht erwarten”
Der BVB ist offensichtlich über den Punkt hinweg, ein Remis bei Real als Höhepunkt der Vereinschronik anzusehen – oder einen verpassten Sieg gegen einen Großklub als verschenkte Lebenschance. Jose Mourinhos Lob, der BVB sei sogar ein Kandidat für den Gewinn der Champions League, wird zwar nett weg gelächelt. Das ist viel zu weit weg. Aber als Spitzenreiter der Gigantengruppe D braucht der BVB plötzlich nur einen Punkt im nächsten Spiel bei Ajax Amsterdam, um schon vorzeitig ins Achtelfinale einzuziehen und zu Europas absoluter Elite zu gehören. Eine enorme Leistung, wie auch Klopp findet: „Wir haben acht Punkte, sind ungeschlagen und haben es selbst in der Hand, weiterzukommen. Mehr kann man nach vier Spieltagen nicht erwarten. Und in dieser Gruppe schon mal gar nicht.“
Real ist beeindruckt
Mit einer Leistung wie im ersten Durchgang in Madrid gehört der BVB jetzt schon zur Elite, diesbezüglich ließ sich sogar Zorc zu einem Superlativ hinreißen: „Die erste Halbzeit gehört zum Besten, was wir je gespielt haben.“ Diszipliniert und mutig: Genau so, wie Klopp es von seiner Mannschaft gefordert hatte, waren die Schwarz-Gelben vor der beeindruckenden und viele Teams einschüchternden Kulisse in der spanischen Hauptstadt zu Werke gegangen. „Der Fehler der Meisten ist, bei Real wirklich wie eine Auswärtsmannschaft aufzutreten“, hatte der BVB-Coach gewarnt und gleich das rechte Gegenmittel parat. Aus einer sicheren Defensive heraus zwar, aber immer wieder mit forschen Vorstößen hatte sich der BVB schnell Respekt verschafft. Weiteren Respekt um genau zu sein, denn schon nach Hinspielerfolg war Real so beeindruckt von der schwarz-gelben Bestie wie sonst nur vom FC Bayern, der in Spanien so genannten Bestia Negra, der schwarzen Bestie.
Götze sorgt für Wahnsinns-Stimmung
Angeführt vom überragenden Mario Götze, kultivierte die Borussia ihren gefürchteten Überfallfußball. Sie durchpflügte das Mittelfeld und kam immer wieder gefährlich vors Tor der Gastgeber. Marcel Schmelzer (9.) und Kilometerfresser Kevin Großkreutz (14.) hätten früh die Führung erzielen können. Schließlich war es Marco Reus, der nach gut einer halben Stunde Weltmeister Iker Casillas überwand. Nicht mal vom zwischenzeitlichen Ausgleich durch Pepes Kopfballtreffer (34.) – dem bei der Flanke zuvor wohl ein Foul an Dortmunds Stürmer Robert Lewandowski voranging – ließ sich die Borussia aus der Ruhe bringen. Noch unmittelbar vor der Pause konterte Götze mit dem 2:1, auch wenn es am Ende Real-Verteidiger Alvaro Arbeloa war, der dem Ball den entscheidenden Dreh Richtung Torlinie gab. „Er war so freundlich, ihn reinzuschießen. Wer weiß, wohin ich getroffen hätte“, sagte das Mittelfeldass voller Selbstironie. Schließlich war er mit seinen technischen Fähigkeiten alleine das Eintrittsgeld im Bernabeu wert. Auch als „halber“ Torschütze sorgte er für anerkennendes Staunen bei den Anhängern der Madrilenen und für eine Wahnsinns-Stimmung unter den zigtausend mitgereisten BVB-Fans hoch oben unterm Tribünendach. Für eine Stimmung, die bei Klopp nach eigener Vermutung „noch in zehn Jahren für eine Gänsehaut sorgen wird”.
Alles Glück frühzeitig aufgebraucht
Nach dem Wechsel reagierte Real-Trainer Mourinho und baute seine Elf um. Jose Callejon kam für Gonzalo Higuain, Michael Essien für den abgemeldeten Luka Modric, und später auch noch Brasilien-Star Kaka für den Unglücksraben Arbeloa. Bei Higuain war es eine Verletzung, aber sonst war allein die Stärke des BVB verantwortlich für die radikalen Umstellungen. „Mourinho hat gemerkt, wie wahnsinnig gut wir stehen“, erklärte Kapitän Sebastian Kehl nach der Partie, bei der er trotz Gesichtsmaske den vollen Durchblick behielt. In neuer taktischer Grundordnung entwickelte Madrid wesentlich mehr Druck und erarbeitete sich gegen tapfer kämpfende Westfalen richtig gute Chancen. Zwei Mal war Roman Weidenfeller mit Riesenparaden zur Stelle, ein Mal kratzte Großkreutz in höchster Not den Ball von der Linie. Bei Callejons vermeintlichem Abseitstor brauchte der BVB all das Glück auf, dass dann eine Minute vor Ende der Partie fehlte.
Weidenfeller – “dann haut er sich den Kopf blutig”
Es war Mesut Özil vorbehalten, den Königlichen mit einem hübschen, aber vermutlich haltbaren Freistoßtor das Remis zu retten. „Ein Geniestreich“, tönte BVB-Torwart Roman Weidenfeller. Ob das sein Ernst war? Sein Trainer rückte diese spezielle Sicht der Dinge mit der ihm eigenen Ironie jedenfalls wieder gerade. „Wenn er da eine richtige Torwartbewegung macht, haut er sich den Kopf blutig.“ Damit wiederum hätte der BVB seinen frisch erworbenen Respekt in Fußball-Europa vermutlich ins Abstruse gesteigert.
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