Von Derbydeppen zu Flutlichthelden in nur vier Tagen: Die Champions-League-Gala gegen die Startruppe von Real Madrid hält für den Deutschen Meister Borussia Dortmund gleich einige Überraschungen bereit.
Dass es ein denkwürdiger Europapokal-Abend in Dortmund geworden war, zeigte sich spätestens bei Mats Hummels’ Auftritt vor den Kameras der Mixed Zone: Kurz nach Abpfiff des frenetisch bejubelten 2:1-Erfolgs über Real Madrid stand der Abwehrspieler des Deutschen Meisters im weißen Shirt des berühmtesten Klubs der Welt Rede und Antwort. Aber nicht etwa der BVB-Verteidiger hatte Ronaldo und Co. ein Souvenir abgejagt. „Madrids Raphael Varane hat mich um mein Trikot gebeten“, erzählte der Nationalspieler ein wenig stolz – und mindestens ebenso verwundert. Dabei war das nur die verrückteste Wendung einer vor Überraschungen triefenden Gala in der Gigantengruppe der Champions League. Einer Gala, in der Dortmunds Derbydeppen unvermittelt zu Flutlichthelden wurden und ausgerechnet jener Borusse das Siegtor schoss, dem zumindest vorübergehend von höchster Stelle die internationale Reife abgesprochen worden war.
Mourinho entdeckt Ähnlichkeiten zwischen Real und dem BVB
„Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey“, hallte es von den Rängen des früheren Westfalenstadions noch lange nach. Denn mit einer herausragenden Teamleistung hatte der BVB gegen Madrids Millionentruppe nicht nur den zweiten Heimsieg der laufenden Champions-League-Saison geholt, sondern sich sehr zur Freude der Fans bei sieben Zählern auch vorerst Rang eins gesichert.
Und das angesichts der brutal schweren Vorrunden-Konstellation, von der Real-Trainer Jose Mourinho nach der Partie schwer beeindruckt sagte: „Es gibt Gruppen in der Königsklasse, die sind ein Witz. Aber das hier, das ist die Gruppe.“ Auch ein ganz spezielles Lob für den Gastgeber schob „der Einzigartige“ nach: „Dortmund ist gut organisiert.“ Sogar einige Ähnlichkeiten im Spielstil der beiden Mannschaften wollte Mourinho entdeckt haben.
Verkehrte Welt: Die können nur Europa
Dabei war Dortmunds schwere Demütigung im Bundesliga-Derby gegen Schalke gerade einmal vier Tage her. Gegen Real machte der plötzlich BVB alles besser und fand zur tollen Form der jüngsten Europapokalspiele zurück. Wie beim Auftaktsieg gegen Ajax Amsterdam und noch mehr beim unglücklichen Remis gegen Manchester City zauberten die Dortmunder ihren ganz speziellen BVB-Fußball auf den Rasen, der die Fans so verzückt: mit Leidenschaft, Ehrgeiz und unglaublichem Laufpensum.
Verkehrte Welt aber auch hier: Im Gegensatz zur vergangenen Saison glänzt der in der Liga aktuell schwächelnde BVB nun regelmäßig auf internationalem Parkett und hat auch dem allerletzten Kritiker bewiesen: Die können auch Europa! Dass die zuletzt vermissten Marcel Schmelzer und Mario Götze ins Team zurückkehrten und Ilkay Gündogan immerhin für die letzte halbe Stunde eingewechselt wurde, machte die Sache für die Elf von Jürgen Klopp natürlich viel einfacher. Die Statik stimmte wieder nach der jüngsten Zockerei mit dem Spielsystem – und die Einstellung bei den Schwarz-Gelben sowieso.
Schmelzer und Piszczek überragend
„Zum Glück muss ich nicht allzu tief graben, um das Spielverständnis bei meiner Mannschaft wiederzufinden“, sagte Klopp erleichtert. In den Tagen nach dem Derby hatte er im Training erst den Spaßfaktor erhöht, nur um dann im letzten Moment wieder massiv Druck aufzubauen. So kleidete er noch kurz vorm Anpfiff die Notwendigkeit taktischer Disziplin öffentlich in harsche, ungewöhnliche Worte: „Wer heute nicht vernünftig defensiv arbeitet, ist ein Arschloch.“ Im Nachhinein konnte der BVB-Coach mit seiner verbalen Motivationsspritze zufrieden sein. „Heute haben alle gearbeitet wie die Stiere.“
Besonders die beiden Außenverteidiger Schmelzer und Lukas Piszczek erwischten einen klasse Tag. Sie hatten die Sonderaufgabe, superoffensiv zu agieren. Beide absolvierten ein Mörderprogramm, machten enorm viel Druck nach vorne und meldeten ganz nebenbei noch Weltstar Cristiano Ronaldo sowie Reals verkappten Flügel-Spielmacher Angel di Mario über beinahe die gesamte Spielzeit ab. Nur beim 1:1 durch „CR7“ ging das in die Hose, weil Piszczek gerade offensiv unterwegs war, Aushilfsverteidiger Sven Bender bei Özils Traumpass pennte und Lupfer-Opfer Roman Weidenfeller ein gutes Stück zu weit vorm eigenen Tor stand.
Mutig absichern ist das Motto
Das fiel aber nicht weiter ins Gewicht an diesem tollen Abend, denn der BVB erledigte alle anderen Aufgaben souverän oder zumindest kämpferisch. Zwar hatte der Außenseiter erwartungsgemäß weniger Ballbesitz gegen das Weiße Ballett. Dafür hatten die schwarz-gelben Malocher insgesamt zehn gelaufene Kilometer mehr auf dem Tacho! Sie ließen sich weder von vergebenen Großchancen durch Sebastian Kehl und Mario Götze aus der Fassung bringen, die Weltmeister Iker Casillas im Tor der Spanier großartig vereitelte, noch brachen sie in der Schlussoffensive ein wie noch beim späten Remis gegen City.
„Die größte Herausforderung war, mutig gegen den Ball zu arbeiten und gleichzeitig unseren eigenen Ballbesitz abzusichern“, erläuterte Klopp das Erfolgsrezept. Auf diese Weise hatte Kapitän Kehl nur zwei Minuten vorm Ausgleich einen Pass von Real-Verteidiger Pepe abgefangen und Stürmer Robert Lewandowski auf die Reise zum 1:0 geschickt. Ähnlich hartnäckig hatte Schmelzer nach einem Dortmunder Konter nachgesetzt und Mitte des zweiten Durchgangs aus der Distanz den 2:1-Siegtreffer erzielt.
Sieg über Real als Kindheitstraum? Nicht für einen Schwarzwälder
Eben jener Schmelzer, der zuletzt im Nationalteam in der Diskussion stand wegen angeblich fehlender internationaler Klasse. „In solch einem Spiel gegen Real Madrid das Siegtor zu schießen – damit geht für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung“, sagte der 24-Jährige aufgewühlt und befürchtete zudem, vor lauter Aufregung in der Nacht nicht schlafen zu können. „Es war wichtig, eine Reaktion zu zeigen. Natürlich ist das eine kleine Genugtuung“, sagte Schmelzer weiter. Der Abwehrspieler bezog das aber ausschließlich auf die Darbietung des BVB im Meisterschaftsrennen, und nicht auf seine umstrittene Position bei Bundestrainer Joachim Löw.
Sein Klubtrainer sah das mit dem Kindheitstraum übrigens ein bisschen anders. Angesichts der anstehenden schweren Aufgaben in der Liga und in Europa nutzte Klopp die gleiche Frage dankbar, um ganz kräftig auf die Euphoriebremse zu treten und mit einem Lacher die Sinne zu schärfen: „Ich komme aus dem Schwarzwald und habe damals nur davon geträumt, mal beim VfB Stuttgart zu spielen. Und das habe ich nie geschafft.“
Pingback: Die Blog- und Presseschau für Donnerstag, den 25.10.2012 | Fokus Fussball