Dortmunds Coach überfordert seine Rumpfelf mit einem neuen Spielsystem und und schickt den BVB in eine schmerzhafte Derbypleite. Die Titelverteidigung kann sich die Borussia nach der Niederlage im Prestigeduell gegen Schalke nun endgültig abschminken.
So mancher BVB-Fan hatte schon beim Anpfiff des 141. Revierderbys ein schlechtes Gefühl. Das lag weniger daran, dass sich marodierende Schalke-Anhänger im und am Stadion mal wieder daneben benahmen. Es lag auch nicht am tragischen Verletzungspech des Meisters, der gleich vier Stammspieler ersetzen musste. Vielmehr staunten die Borussen ungläubig darüber, dass Meistertrainer Jürgen Klopp seiner Rumpfelf ausgerechnet im Prestigeduell eine völlig neue taktische Formation verordnete.
Ein Debakel mit Ansage also, und so mussten die Dortmunder durch die 1:2-Heimpleite nicht nur den Revierrivalen in der Tabelle ziehen lassen. Bei nun 12 Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Bayern München ist der Traum von der Titelverteidigung wohl endgültig geplatzt.
Taktik schon früh in Trümmern
“Mit der Systemumstellung wollte ich der Mannschaft helfen”, sagte Klopp nach der zweiten Saisonpleite des BVB entschuldigend und gab freimütig zu: “Die Niederlage geht auf meine Kappe.” Weil sich bei Ilkay Gündogan und Marcel Schmelzer in letzter Minute die Hoffnung auf einen Einsatz zerschlug, und Mario Götze und Jakub Blaszczykowski sowieso fehlten, setzte der Coach zum ersten Mal überhaupt in seiner Zeit beim Revierklub auf eine Dreier-Abwehr: mit Sven Bender als Libero! “Ich wollte die Spieler auf Positionen einsetzen, die ihrem Naturell entsprechen”, erläuterte Klopp.
Doch da hatte er sich gründlich getäuscht. Die verhinderten Außenverteidiger Lukas Piszczek und Kevin Großkreutz standen im Mittelfeld viel zu hoch und in ihrem Rücken machten die Schalker Jefferson Farfan und Ibrahim Afellay, was sie wollten. Da nützte auch der dritte Mann im Defensivzentrum nichts. Schon nach einer Viertelstunde lag die Taktikvariante in Trümmern, weil Afellay zum 0:1 für die Gäste traf. Von diesem Schock erholte sich der Meister das ganze Spiel nicht mehr.
Ein einziger nennenswerter Torschuss
Zwar kehrte der BVB danach ins gewohnte System zurück – zunächst allerdings verkehrt herum, mit Bender als rechtem und Piszczek als linkem (!) Außenverteidiger. Der Meister fand dadurch etwas mehr Sicherheit. Trotzdem blieb das Spiel der Borussia fahrig, leicht auszurechnen und gegen sicher stehende, aber dennoch biedere Schalker ungefährlich. Einen einzigen nennenswerten Torschuss gab der BVB in der ersten Halbzeit ab, durch Nationalspieler Marco Reus. Doch auch dieser war an Harmlosigkeit nicht zu unterbieten. Die vielversprechendste Aktion verdaddelte Stürmer Robert Lewandowski, als er einen Traumpass von Reus frei vorm Tor von S04-Keeper Lars Unnerstall nicht verarbeiten konnte.
Mit guten Vorsätzen, aber den gleichen Problemen ging der BVB in die zweite Halbzeit – und kassierte gleich den nächsten Rückschlag. Nur zwei Minuten waren gespielt, als Lewis Holtbys Sensationspass auf Marco Höger das 0:2 brachte. Nur sechs Minuten später hätte Joel Matip im 1500 Ligaspiel der Schalker nach einer Ecke alles klar machen müssen. Stattdessen wurde es ein wenig spannend nach Lewandowskis Anschlusstreffer per Kopf. Aber nur scheinbar. Denn obwohl Dortmund Mitte der zweiten Halbzeit auch personell wieder im klassischen 4-2-3-1 angekommen war, gingen die Schwierigkeiten weiter. Das Team leistete sich viele Abspielfehler und war nie in der Lage, Druck auszuüben.
Stevens: Normalerweise wird das schwierig hier…”
“Das wirkte schon wild”, fand auch Klopp, der vor allem vom eigenen Passspiel enttäuscht war. Es hakte derart massiv, auch weil der Trainer seine Mannschaft weiter durcheinander wirbelte. Julian Schieber ersetzte den ultraschwachen Ivan Perisic, Leonardo Bittencourt gab in der Stunde der größten BVB-Not sein Bundesliga-Debüt und kam für den routinierten Kapitän Sebastian Kehl. In der Schlussphase beorderte der Coach sogar noch Abwehrhüne Felipe Santana als Fremdarbeiter ins Sturmzentrum, auf dass mit ein wenig Fortune noch ein Ball auf den Kopf des Brasilianers fallen möge.
Glück, noch nicht einmal ein Quäntchen, hatte der BVB an diesem Nachmittag aber nicht verdient. Dazu hatten die Borussen schlicht zu wenig geleistet. Den Gästen reichte eine durchschnittliche Leistung, um ihre Durststrecke im Derby nach zwei Jahren endlich wieder zu beenden. “Wenn das 1:2 fällt, wird es normalerweise ganz schwierig hier. Aber heute war das nicht so”, sagte Gästetrainer Huub Stevens und war über die ausbleibende Schlussoffensive ebenso erstaunt wie zu Beginn über die Harakiri-Taktik des BVB.
Jürgen macht auf Jogi
Die hatte er mit einer ähnlichen Mischung aus Ungläubigkeit und Freude wahrgenommen wie Italiens Trainer Cesare Prandelli im Sommer 2012 die Systemumstellung von Bundestrainer Joachim Löw beim EM-Halbfinalaus der DFB-Elf gegen die Azzurri. “Wir waren schon ein wenig überrascht”, sagte Stevens süffisant, “und haben das super aufgenommen.”
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