Eigentlich wollte der Bundestrainer dem BVB-Außenverteidiger vier Spiele lang Zeit zur Bewährung geben. Doch schon vorm dritten Spiel der WM-Qualifikation in Irland degradiert er Marcel Schmelzer öffentlich zur Notlösung – und rudert erst mit deutlicher Verspätung zurück.
Der Teamgeist ist intakt, zwischen dem Bayern- und dem Dortmund-Block existiert kein Graben: Diese Gute-Laune-Botschaft möchte die deutsche Nationalmannschaft derzeit in alle Welt transportiert wissen. Doch ausgerechnet der Bundestrainer treibt einen Keil in diesen hehren Plan. Denn während die Münchner Spieler von ihm durch die Bank allerhöchstes Lob erfahren, hat er nun ziemlich überraschend BVB-Abwehrspieler Marcel Schmelzer als Sündenbock für den schwachen Auftritt vor einigen Wochen in Österreich herausgepickt: „Wir haben auf der linken Abwehrseite keine Alternative und ich kann mir auch keine schnitzen. Von daher müssen wir erst einmal mit Marcel weiterarbeiten.“
Der Seelenmasseur macht Pause
Aus dem Mund des Chefdiplomaten im deutschen Fußballdienst klingt das wie eine Abmahnung, ja fast schon wie eine Kündigung mit Ansage. Fährt der Bundestrainer einen neuen Kurs, nachdem Bayern-Präsident Uli Hoeneß kürzlich medienwirksam mehr Druck im Nationalteam gefordert hatte? Bislang jedenfalls pflegte Löw in der Wohlfühloase Nationalmannschaft die Seelen seiner gestressten Akteure gründlich und ausdauernd zu massieren. Nicht so bei Schmelzer.
Vier Spiele lang wollte Löw ihm eigentlich die Chance zur Bewährung auf internationalem Niveau geben. Doch nachdem dieser gegen Färöer verletzt fehlte und gegen Österreich nicht überzeugte, scheint die Geduld des Bundestrainers mit dem Dortmunder bereits abgelaufen zu sein. „Schmelzer hat in Wien nicht gut gespielt“, urteilt der Bundestrainer knallhart, als hätte dieser als einziger unter Niveau gespielt beim knappen 2:1-Sieg, der so viele Probleme der Nationalelf offenbarte.
Schmelzer beweist in Dortmund das Gegenteil
Allzu große Hoffnung scheint Löw nicht mehr zu haben, dass Schmelzer ihn in Kürze zufrieden stellen kann. „Einige Spieler müssen sich international noch an Schnelligkeit, Dynamik und Druck gewöhnen“, sagte der Bundestrainer und meinte ganz offensichtlich in erster Linie die BVB-Fraktion. Denn der große München-Block gilt ebenso als Champions-League-gestählt wie die Real-Madrid-Stars Mesut Ösil und Sami Khedira. Der Neu-Londoner Lukas Podolski und Routinier Miroslav Klose mit ihren jeweils über 100 Länderspielen sind in den Augen des obersten DFB-Coaches sowieso über jeden Zweifel erhaben.
Dass Schmelzer in der Bundesliga regelmäßig zu den Besten seines Teams gehört und auch zuletzt in der Königsklasse bei Manchester City eine tadellose Leistung hinlegte, lässt Löw nicht gelten. Möglicherweise erscheint es ihm zu schwierig oder langwierig, das laufintensive Dortmunder Spielsystem, auf das Schmelzers Fähigkeiten zugeschnitten sind, auf die Nationalelf zu übertragen. Lieber vertrauter er auf das etablierte Bayern-Modell, mit allen spielerischen Vor- und Nachteilen, die sich daraus ergeben.
Die Nationalelf richtet sich nach dem FC Bayern
Vielleicht hat der Bundestrainer schon ein anderes Abwehrkonstrukt im Auge. Münchens Holger Badstuber, der vor zwei Jahren ähnlich ruppigen Start in seine Länderspielkarriere hatte wie nun Schmelzer, wurde von Co-Trainer Hansi Flick jedenfalls jüngst ausdrücklich für seine Leistungen auf der linken Abwehrseite gelobt. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Nationalmannschaft ihre Verteidigungsformation der aktuellen Aufstellung des FC Bayern anpasst.
So spielt Kapitän Philipp Lahm im DFB-Team links oder rechts, je nachdem, wie er gerade im Klub eingesetzt wird. Schon gegen Färöer half Badstuber auf links aus. Allerdings ist er auf der Außenposition beim Rekordmeister nur Platzhalter für den lange verletzten David Alaba, der in absehbarer Zeit seinen Stammplatz wieder für sich reklamieren wird. Auch diese Lösung wäre für Löw nur eine des Übergangs.
Entschuldigung zweiter Klasse wird nachgereicht
Erst mit dem Abstand von gut zwei Stunden wurde dem Bundestrainer übrigens bewusst – oder vom DFB bewusst gemacht -, wie hart seine Worte in der Öffentlichkeit wirken mussten. Über die Nachrichtenagenturen ließ der 52-Jährige dann auch verlauten, er habe „nach wie vor großes Vertrauen in Schmelzers Fähigkeiten“ und dieses dem Dortmunder auch persönlich mitgeteilt. Doch für eine Entschuldigung erster Klasse war es da bereits längst zu spät.
(Aktualisiert um 18:52, nach der Verlautbarung von Joachim Löw via Sport-Informationsdienst)