Der BVB zieht seine atemberaubende Fußball-Show erstmals in der Champions League ab, wird beim englischen Meister Manchester City aber nur unzureichend belohnt.
Der tragische Held des Abends war untröstlich: Neven Subotic hangelte sich in der engen Mixed Zone in den Katakomben des Etihad-Stadions von Manchester von einer Station zur nächsten und erzählte immer wieder seine Version der Geschichte: „Was für ein Alptraum! Was soll ich denn machen? Mir den Arm abschneiden?“ Das unabsichtliche Handspiel des Abwehrspielers hatte Borussia Dortmund in letzter Minute den Sieg bei Manchester City geraubt. Dabei hatte der BVB nach einem der besten Spiele der jüngeren Champions-League-Geschichte doch so viel mehr verdient als nur ein 1:1.
Zur Halbzeit die beste Nullnummer der Champions-League-Geschichte
„Die Partie hätte auch 8:6 ausgehen können“, sagte Subotic. Nach einem denkwürdigen Europapokalabend beim englischen Meister schwankte er wie alle seine Teamkollegen zwischen dem Stolz auf eine überragende Leistung und dem faden Gefühl, zwei Punkte in der Monstergruppe D liegen gelassen zu haben. Das mit den 14 möglichen Toren war noch nicht einmal eine der üblichen Übertreibungen des aufgeblasenen Fußballgeschäfts.
Alleine im ersten Durchgang, als sich beide Teams noch auf einem Niveau bewegten, hätten acht Tore fallen müssen, gleichmäßig verteilt auf beide Mannschaften. Doch weil sich die beiden Keeper einen Wettstreit auf höchstem Niveau lieferten, ging die Partie mit der wohl ansehnlichsten Nullnummer der Champions-League-Gruppenphase in die Pause. Auf die Frage, ob er schon mal eine so gute Torwartleistung gesehen hatte wie die von City-Keeper Joe Hart, antwortete BVB-Trainer Jürgen Klopp völlig angemessen: „Ja, die von Roman Weidenfeller heute.“
Klopps Risiko zahlt sich aus
Während Englands Nationalkeeper im Minutentakt Riesenchancen von Mario Götze und Ilkay Gündogan vereitelte und dabei den Ball unter anderem zwei Mal mit den Fingerspitzen an die Latte oder den Pfosten lenkte, hatte Weidenfeller gegen die sensationell besetzte Manchester-Offensive mit drei außergewöhnlichen Reaktion gegen Argentiniens Superstar Sergio Agüero und Spaniens Weltmeister David Silva die Oberhand. Außerdem besaß der BVB-Torhüter gegen Letzteren noch das Glück des Tüchtigen. Alleine diese erste Halbzeit war so vollgepackt mit Aktionen, dass es jede Champions-League-Zusammenfassung sprengte. Der erstaunten Kulisse im Etihad fiel kollektiv die Kinnlade runter.
Für die fast dreitausend mitgereisten Fans des BVB wurde es nach der Pause sogar noch besser und endgültig zu einem Groundhopping mit Kultstatus, von dem die Anhänger noch in Jahren erzählen werden wie vom ersten Kuss. Denn ihre schwarz-gelben Helden übernahmen gegen die Millionentruppe aus Manchester vollständig die Initiative und spielten die Citizens zeitweise an die Wand. Der Einsatz von Sven Bender, der kurzfristig anstelle von Kapitän Sebastian Kehl in die Startelf gerückt war und sein sein erstes Saisonspiel von Beginn an bestritt, war ein Volltreffer. Genau wie der überraschende Wechsel von Rechtsaußen Jakub Blaszykowski in die Mitte. Spätestens im zweiten Durchgang ging Klopps Plan komplett auf, mit dem defensivstärkeren Polen im Zentrum für zusätzliche Sicherheit zu Sorgen, während Götze und Reus auf den Flügeln ihre Offensivstärken ausspielten.
Der Elfmeter: höchst umstritten, aber wohl üblich
Der BVB konnte sein unbarmherziges Pressing erstmals erfolgreich nach Europa exportieren. „Wenn du nicht mit allen Spielern rennst und verteidigst wie der BVB, wird es schwierig“, zog sogar City-Trainer Roberto Mancini den Hut. Der Italiener musste mit ansehen, wie die Gäste plötzlich im Stil einer Heimmannschaft auftraten. „So viele Torchancen wie wir hat wohl lange keine Mannschaft mehr hier gehabt“, sagte Nationalverteidiger Mats Hummels, der mit Verdacht auf einen eingeklemmten Nerv vorzeitig das Schlachtfeld verlassen musste und später durch die Stadionkatakomben humpelte.
Mit dem Führungstor durch Marco Reus nach gut einer Stunde wurde der Traum greifbar, in der schwierigsten Gruppe der Champions League punktgleich mit Real Madrid an der Spitze zu stehen. Erst das Last-Minute-Handspiel von Subotic ließ den Traum platzen. Den Elfmeter, den der gerade eingewechselte Deutschland-Schreck Mario Balotelli sicher verwandelte, musste man nicht pfeifen. Aber vermutlich wird er in 95 Prozent aller Fälle gegeben, überall auf der Welt. Schließlich blockte der Arm des Dortmunders deutlich sichtbar einen Schuss der Engländer ab.
Watzke: die gehässigen Kommentare widerlegt
Es spricht für den Deutschen Meister, dass er sich mit der höchst umstrittenen Entscheidung des tschechischen Referees Pavel Kravolec recht schnell anfreundete. „Wir hatten genügend Chancen, vorher den Sack zuzumachen“, gab Reus zu. Der Torschütze hatte im Eins-gegen-Eins mit Hart genauso die Möglichkeit zum zweiten BVB-Treffer wie Gündogan. Aber vor allem Stürmer Robert Lewandowski ließ zwei Großchancen fahrlässig liegen. Statt zu lamentieren, zogen die BVB-Akteure aber lieber Positives aus der Partie. So wie Hummels: „Wir haben gezeigt, dass wir gegen jeden Gegner der Welt bestehen können.“
Nach der Kritik am Desaster der vergangenen Königsklassen-Kampagne war es für die Dortmunder eine Genugtuung, auf der großen Bühne geglänzt zu haben. „Heute haben wir alle widerlegt, die fast schon gehässig behaupteten, wir könnten Europa nicht“, diktierte BVB-Chef Hans-Joachim Watzke zufrieden in die Mikrofone und entschwand doch mit gemischten Gefühlen in die nordenglische Nacht.
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