Wackelige Abwehr, Offensive mit viel Luft nach oben: Beim hart erkämpften Auftaktsieg über starke Bremer lässt Titelverteidiger Borussia Dortmund den gewohnten Glanz vermissen.
Traumeinstand von Marco Reus, Comeback von Mario Götze – und die stolze Bundesliga-Serie nun saisonübergreifend auf 29 Spiele ohne Niederlage ausgebaut. Hört sich nach eitel Sonnenschein an bei Borussia Dortmund, nach dem 2:1-Sieg zum feierlichen Auftakt der 50. Bundesliga-Saison. Doch statt Staunen, Euphorie, ja Ekstase wie zu Beginn der vergangenen Spielzeit nach der Gala gegen den Hamburger SV, hat der Meister gegen Bremen nun eine neue Gefühlswelt für sich wiederentdeckt: die pure Erleichterung. Denn während Werder einen deutlichen Qualitätssprung zeigte, knirschte es beim Meister noch gewaltig, bis sich die Fans über den hart erkämpften Erfolg freuen konnten.
Kuba und das Helfersyndrom
Dortmund wäre an diesem Abend zu packen gewesen. Vor eigenem Publikum unterliefen dem Titelverteidiger zahlreiche Flüchtigkeitsfehler. Auch ungewohnt viele Fouls stapelten sich beim fairsten Team der vergangenen Saison, weil das Timing oft nicht stimmte. Besonders auf der rechten Abwehrseite hatte der BVB zu knacken nach dem Ausfall von Lukasz Piszczek. Neuling Oliver Kirch zeigte zunächst gute Ansätze, hatte dann aber gegen Flügelspieler Eljero Elia mehrfach das Nachsehen, was die Statik der gesamten Defensive gehörig verschob. „Das Problem war nicht einmal Piszczeks Ausfall“, erläuterte Trainer Jürgen Klopp. „Aber Kuba wollte Kirch helfen, ein bisschen zu viel vielleicht. Dadurch standen wir zu tief.“ Das öffnete Räume für den bärenstarken Aaron Hunt, der diese immer wieder dankbar nutzte.
Auch in der Offensive hat der Meister noch viel Luft nach oben. Das frühe Führungstor von Marco Reus nach nur elf Minuten war praktisch die einzige echte BVB-Chance in der ersten Halbzeit. Es wären zwei gewesen, wenn Bremens Zlatko Junuzovic eine Traumkombination von Robert Lewandowski und Jakub „Kuba“ Blaszczykowski nicht an der Strafraumgrenze auf Kosten einer Gelben Karte zerstört hätte. Insgesamt war das aber zuwenig angesichts des Offensivtalents, fand auch Nationalverteidiger Mats Hummels. „Wir hatten zu wenig Szenen im Spiel nach vorne.“ Erst im zweiten Durchgang wurde es besser, als Hummels und Lewandowski Bremens Torhüter Sebastian Mielitz gleich zu Beginn und ganz am Ende zu Glanzparaden zwangen. Und natürlich beim sagenhaften Siegtreffer von Joker Mario Götze, der keine vier Minuten nach seiner Einwechslung die gestresste schwarz-gelbe Fanseele erlöste und seine eigene Leidenszeit vermutlich beendete.
Wo ist die Kopie fast besser als das Original?
Dortmunds Schwäche resultierte allerdings auch aus Bremer Stärke. Die Gäste entpuppten sich als mindestens gleichwertiger Kontrahent, der den Favoriten vor enorme Probleme stellte. Wie die Borussia in besten Tagen jagte die neu erfundene Werder-Wundertüte dem Ball hinterher, zwang den BVB zu Fehlern, und schaltete dann schnell in Angriffsmodus. In vorderster Spitze verteilte überraschend Kevin de Bruyne die Bälle, ein geschickter Schachzug von Trainer Thomas Schaaf, mit dem er den Meistertrainer auf dem falschen Fuß erwischte. „Der ist doch eigentlich Mittelfeldspieler!“, sagte Klopp später erstaunt.
Fast wäre die Kopie sogar besser als das Original gewesen. Doch die Hohepriester des Vollgasfußballs hatten Glück, dass die Bremer auch Dortmunds früher so miserable Chancenauswertung als Blaupause übernommen hatten. So scheiterte Elia nach einer weiteren tollen Vorarbeit von Hunt im Duell Eins-gegen-Eins an BVB-Torhüter Roman Weidenfeller. Marko Arnautovic donnerte den Ball zudem aus 10 Metern nur an den Pfosten. Statt über eine verdiente Pausenführung durften sich die Norddeutschen im zweiten Durchgang lediglich acht Minuten lang über einen vermeintlichen Auswärtspunkt freuen, nachdem Theodor Gebre Selassie eine Viertelstunde vor Schluss getroffen hatte. Selbst BVB-Trainer Klopp zog beeindruckt den Hut: „Werder nimmt gerade eine großartige Entwicklung.“
Reus legt auch den Rückwärtsgang ein
Das gilt weiterhin auch für den BVB, der gerade eine finanzielle Rekordbilanz als Zeichen seines verstetigten Aufschwungs vorgelegt hat. Doch aktuell auf dem Rasen greifen bei den Schwarz-Gelben die Räder noch nicht wieder ineinander – trotz der längsten Vorbereitung der Ligageschichte. Immerhin kann sich Trainer Klopp über die Fortschritte bei der Integration des neuen Musterschülers freuen. Eine Woche nach seinem ersten Pflichtspieltreffer im DFB-Pokal glänzte Marco Reus nicht nur mit seinem ersten Bundesligator für den BVB. Nachdem der Coach zuletzt unzufrieden mit der Defensivarbeit des Ballkünstlers war, legte dieser seine erste Zwischenprüfung als lupenreiner BVB-Fußballer ab: Mit einem 70-Meter-Sprint in die eigene Abwehr und einem anschließenden astreinen Tackling vereitelte er eine gute Werder-Chance – und sammelte weiter Punkte beim Chef.