Der BVB will sich bei Real Madrid mit Anstand aus der Champions League verabschieden. Doch längst geht es für die Borussia um strategischere Ziele.
(Dieser Artikel lief am 6.12.2017 bei zdfsport.de)
Mit dem alten spanischen König an seiner Seite wäre Hans-Joachim Watzke vielleicht gar nicht so bange. Vor viereinhalb Jahren hielt Real-Fan Juan Carlos I. die Hand des nervösen BVB-Chefs, als dessen damalige Rasselbande in Madrid fast noch den Einzug ins Finale der Champions League verspielte.
Doch nun heißt der König Felipe VI. Als Anhänger des Stadtrivalen Atletico wird er beim letzten Gruppenspiel gegen Borussia Dortmund wohl nicht einmal im Stadion sitzen.
Saisonziele nach unten korrigiert
Ohnehin müssen die Westfalen aktuell deutlich mehr überstehen als eine heiße Schlussphase im Bernabeu-Stadion. Nach nur einem Sieg aus den jüngsten elf Pflichtspielen sehnt die Borussia die Winterpause herbei. In Madrid, das nach Patzern in der Primera Division seinerseits gegen Kritik kämpft, geht es für den BVB wohl lediglich um das Minimalziel: im Fernduell mit Fußballzwerg APOEL Nikosia die weniger schlechte Tordifferenz ins Ziel zu retten. Selbst bei einer historisch schlechten Ausbeute von zwei Zählern brächte das dann den Trostpreis Europa League.
In der Bundesliga scheint sogar das nach unten korrigierte Hinrunden-Ziel von 30 Punkten kaum haltbar – dazu müsste Dortmund alle drei Spiele gegen Werder Bremen, Mainz 05 und die TSG Hoffenheim gewinnen. Im Achtelfinale des DFB-Pokals beim Liga-Primus FC Bayern hoffen nicht mal kühne Optimisten auf vorweihnachtliche Geschenke. Das neuerliche Verletzungspech mit den langen Ausfällen von Maximilian Philipp und Gonzalo Castro macht alles noch viel schwieriger.
Bosz steht weiter auf der Kippe
Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Zu gewaltig scheinen die Implosion des Kreativen und die eklatante Abwehrschwäche im Spiel der Dortmunder. Dass ein Remis gegen lange in Unterzahl kämpfende Leverkusener jüngst als Fortschritt verkauft wurde, wirkt hilflos – das Festhalten am umstrittenen Trainer Peter Bosz wie ein Lippenbekenntnis. Die Probleme waren lange bekannt, weit vor der Ansage von BVB-Chef Watzke, nun bei der Fehlersuche jeden Stein umzudrehen.
Selbst Boszs gewachsene Bereitschaft, sich mehr auf die Mannschaft einzulassen, beim System flexibler zu sein, defensive Streben einzuziehen und auch beim Personal über seinen Schatten zu springen, hat den freien Fall nicht gestoppt. Mit jedem Negativerlebnis geht weiter Vertrauen verloren. Vermutlich rettet Bosz zurzeit nur, dass in der Kürze der Zeit kein geeigneter Nachfolger zu finden ist. Die “Süddeutsche Zeitung” meint sogar zu wissen, dass dem Holländer bei einer Pleite gegen Bremen selbst das nicht mehr gegen den Rauswurf hilft.
Konkurrenz “kommt mit Tempo 280”
Längst geht es ums Eingemachte für die Dortmunder, die in den vergangenen fünf Jahren drei Mal zu den besten Acht der Champions League gehörten. Für die ambitionierten Weltmarktpläne samt des mittelfristigen Umsatzziels von 500 Millionen Euro hat BVB-Chef Watzke hat einen Platz in der Top Ten der UEFA-Rangliste als Voraussetzung identifiziert. Die ist nicht nur wichtig für die Setzliste bei Auslosungen, sondern auch um ans große Geld der Global Player zu kommen: Internationale Konzerne konzentrieren ihr Sponsoring weitgehend auf die zehn Marktführer Europas, zu denen Schwarz-Gelb als Neunter gerade noch zählt.
Doch die potente Konkurrenz vor allem aus England “kommt mit Tempo 280 und Lichthupe und will uns überholen”, warnt Watzke. Dank einer starken Vorrunde werden Chelsea, Liverpool und Manchester United allein bis zum Jahresende wohl neun Punkte auf den BVB aufgeholt haben.
Quantensprung in der Königsklasse
Umso wichtiger wird das Saisonziel Nummer eins: die erneute Qualifikation für die Königsklasse. Die in der Bundesliga auf Rang sechs durchgereichten Dortmunder mit ihrem inzwischen etwa 130 Millionen Euro pro Saison verschlingenden Edelkader können von Glück reden, dass jenseits der Bayern eine dicke Qualitätslücke im deutschen Fußball klafft. Selbst Rang zwei ist trotz Krise nur vier Punkte entfernt.
So hat der BVB – vielleicht mit stabilisierenden Wintertransfers aus den Dembélé-Millionen – auch in der Rückrunde noch die Chance, den viel beschworenen “Turnaround” zu schaffen. Der ist umso wichtiger, als durch die Reform der Champions League bald noch mehr Geld ausgeschüttet wird. Schon das Achtelfinale dürfte ab 2018/19 mindestens 50 Millionen Euro wert sein. Dieser nächste finanzielle Quantensprung wird die Machtverhältnisse in Fußball-Europa zementieren.
US-Tour im Sommer
Außerdem braucht Dortmund die Königsklasse, um weiter Toptalente nach Westfalen zu locken. Der Abschied von Chef-Scout Sven Mislintat zum FC Arsenal scheint Belastung genug. Auch die eigenen Helden bleiben viel leichter mit der Aussicht auf die große Bühne. Shooting-Star Christian Pulisic etwa ist bei allen Großklubs ein Thema. Ganz abgesehen vom sportlichen Wert, möchte es sich der BVB auch wirtschaftlich nicht leisten, den US-Amerikaner zu verlieren. Im Sommer 2018 steht eine Marketing-Tour in die Vereinigten Staaten an, von der sich der Klub sehr viel verspricht.