Mario Götze trotzt Dortmunds Abwärtstrend, doch auch bei ihm bleibt viel Luft nach oben. Nun geht’s in der Champions League gegen Tottenham.
Der Artikel lief am 20.11.2017 bei zdfsport.de
Nur ein Sieg aus den letzten acht Pflichtspielen, eine Slapstick-Abwehr und kein Punch mehr in der Offensive: Vor den wichtigen Partien gegen Tottenham und im Liga-Derby gegen den Tabellenzweiten FC Schalke fällt es selbst Berufsoptimisten schwer, bei Borussia Dortmund positive Aspekte zu entdecken. Mario Götzes Entwicklung könnte ein solcher sein und Mut machen – mit manch bemerkenswerter Einschränkung allerdings.
Das BVB-Sorgenkind hat sich in den vergangenen Wochen gegen den Trend stabilisiert. Götze gehört klar zu den Besseren unter den inzwischen fast ausnahmslos unter Niveau spielenden Krisen-Borussen. Die “kicker”-Note 3,3 ist ausbaufähig, kann sich angesichts der dramatischen Dortmunder Talfahrt aber sehen lassen. Zumal sich Götze mit seiner besonderen Vorgeschichte gegen die Misere stemmt: Seine komplizierte Stoffwechsel-Krankheit hat ihn große Teile der vergangenen Saison gekostet und zum Start der aktuellen Spielzeit auf Null gesetzt. Dass der als äußerst sensibel geltende Sportler diese in vielerlei Hinsicht belastende Zeit überwand und die Krankheit nun “ausgeheilt” ist, wie er gerade der “Welt” verriet, ist eine Erfolgsgeschichte.
Probleme im Offensiv-Pressing
Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Götze wieder regelmäßig über die volle Distanz geht und eine Konstante im BVB-Spiel geworden ist. In sieben der letzten acht Partien spielte der 25-Jährige neunzig Minuten durch, in 13 von 19 Pflichtspielen stand er auf dem Feld, elf Mal in der Startelf. Auch bei der jüngsten Pleite beim VfB Stuttgart war Götze ein Lichtblick und glänzte in der ersten Hälfte mit Ballkontrolle und cleveren Anspielen. Einerseits.
Andererseits war auch Götze nicht bereit, auf die Umstellung der Stuttgarter Taktik zu reagieren und sich gegen die VfB-Wucht zu wehren – weder gedanklich, noch körperlich. Wie in vielen der zuletzt enttäuschenden Dortmunder Auftritte, in denen sämtliche BVB-Akteure mit zunehmender Spieldauer ins Schwimmen gerieten. Götze wirkt noch nicht komplett austrainiert und beizeiten auch damit überfordert, die zentrale Rolle im Offensiv-Pressing des umstrittenen Bosz-Systems konsequent durchzuhalten. Das trägt zur Instabilität der Westfalen bei und eröffnet dem Gegner Räume. Symptomatisch, dass Trainer Peter Bosz seinem vermeintlichen Schlüsselspieler bei der Balljagd gegen den FC Bayern nur die Jokerrolle zutraute.
Neue Rolle nimmt ihm die Stärken
Mit vier Torvorlagen in der noch jungen Saison deutete Götze seine Fähigkeiten zumindest wieder an. Immer öfter gelingen auch tolle vorletzte Pässe, die mit Treffern gekrönt werden oder es verdient hätten. Längst hat er auch den Respekt vieler jener BVB-Fans zurück gewonnen, die ihm den Bayern-Abstecher ewig übel nehmen wollten. Doch genauso offenbaren sich Defizite. Es fehlt die Explosivität, der Mut zum Dribbling und vor allem der erfolgreiche Abschluss: Beinahe scheint es so, als hätte der WM-Finalakrobat von Rio seinen Torinstinkt verloren – und beizeiten sogar die perfekte Schusstechnik. Bei der Pleite in Stuttgart etwa zielte wo Götze gleich zwei Mal aus guter Position nur harmlos auf die Tormitte.
Spiele entscheiden, den Unterschied ausmachen – das zeichnete Götze mal aus. Dass es noch nicht wieder so ist, hat auch mit der neuen Rolle im BVB-Spiel zu tun. Dortmunds Nummer 10 wird meist nicht direkt hinter den Spitzen mit Zug zum Tor eingesetzt, sondern etwas defensiver, zudem mit Aufgaben in der Absicherung. “Ich sehe mich als Spielgestalter, nicht als Vollstrecker”, sagt Götze über seinen Wandel und scheint mit sich im Reinen.
Realistisches Lob von Löw
Schon bei Rückkehr nach Dortmund hatte er verkündet, er wolle nicht mehr mit dem Mario Götze der erfolgreichen Klopp-Ära verglichen werden. Dabei ist nicht sicher, ob das eine logische und nötige Entwicklung darstellt oder doch einen Rückschritt. Vielleicht beschränkt er sich und sein unfassbar großes Talent mit dem Wunsch nach einer neuen Charakter-Rolle einfach nur selbst.
Eigen- und Fremdwahrnehmung bei Götze gehen ohnehin signifikant auseinander. Er selbst sieht sich schon bei 100 Prozent, eine vorsichtigere Einschätzung vertritt der Bundestrainer: “Mario ist körperlich wieder auf sehr gutem Niveau. Er wird besser und besser”, sagte Joachim Löw in der jüngsten Länderspiel-Woche, schob aber nach: “Er wird noch brauchen, um das zu zeigen, was in ihm steckt.” Die gute Nachricht: Für ein Nationalelf-Comeback samt Remis-rettender Torvorlage gegen WM-Mitfavorit Frankreich hat das nach fast einem Jahr Zwangspause trotzdem gereicht.