Projekt Präsentierteller

Vom Trainer ermuntert, nutzen die U21-Spieler die EM als persönlichen Probelauf. Ab dem Gruppenfinale gegen Italien dann auch auf höchstem Niveau.

(Dieser Artikel lief am 23. Juni 2017 bei zdfsport.de)

Der Andrang ist groß in Wieliczka, wo die deutsche U21 zur EM in Polen Quartier bezogen hat. Ein Parkplatz direkt am Trainingsgelände des DFB-Teams kostet 30 Zloty, stolze sieben Euro.

Doch die Einheiten der Bundesliga-Sternchen interessieren hier so wenig wie ein Einzelgespräch zwischen Davie Selke und Horst Hrubesch. Es ist das Salzbergwerk, ein Weltkulturerbe der UNESCO, das die Menschen vor die Tore Krakaus lockt.

Für neue Jobs positionieren
Aus deutscher Sicht ist dieses Gespräch aber durchaus interessant, denn nur einen Tag nach der Konsultation des DFB-Sportdirektors wischte Sturmhoffnung Selke alle Zweifel weg, die sich nach dessen Stolperstart aufgetürmt hatten. Nicht mal vom erneut dürftigen Spielbeginn gegen Dänemark ließ sich der 22-Jährige noch beirren. Dank seines Traum-tores avancierte Selke beim 3:0 im Krakauer Józef-Piłsudski-Stadion zum Matchwinner. Der DFB-Auswahl reicht nun im Showdown mit Italien ein Punkt für den Einzug ins Halbfinale.

Dass ihre Popularität in Polen ausbaufähig ist, können „die Superstars von morgen“, wie es großspurig auf dem Teambus steht, sicher verschmerzen. „Alle Spieler befinden sich auf dem Präsentierteller“, hatte Stefan Kuntz vor Turnierbeginn erklärt. Dem U21-Trainer ist es ganz recht, dass sich die Motivation des Kaders aus mehreren Quellen speist. Ne-ben dem künftigen Herthaner Selke wollen sich mindestens vier Spieler für ihre neuen Jobs positionieren, weitere zwei bis drei hätten wohl nichts gegen eine größere Herausforderung.

Bei der Hertha durchstarten
Für Selke geht es darum, das verlorene letzte Jahr wettzumachen. Mit großen Ambitionen war der Angreifer 2015 nach Leipzig gewechselt und hatte mit RB den Aufstieg gefeiert. Zum überraschenden Vizemeistertitel in dieser Saison trug der Olympiazweite von 2016 aber nur rudimentär bei. Nun will er in Berlin angreifen, dort winkt immerhin die Bühne Europa League. Höher hinaus geht es für Mahmoud Dahoud und Maximilian Philipp, beide spielen bald mit Borussia Dortmund in der Champions League. Mit einer guten EM im Rücken könnten sie selbstbewusster um ihre Rolle im Edelkader des BVB kämpfen.

Bislang aber blieb Dahoud blass. Ein Distanzkracher gegen Dänemark war noch die beste Szene des Mittelfeld-Abräumers. Gegen spielstarke „Azzurrini“ ist er nun besonders gefordert, ab dem hochkarätigen Halbfinale wäre er es umso mehr. Sein künftiger Klubkollege Philipp hat es deutlich schwerer. Der 20-Millionen-Euro-Mann kommt bislang nicht über einen Kurzeinsatz hinaus. Dortmunds vermeintlicher Reus-Ersatz tröstet sich damit, dass seine Stunde vielleicht noch schlägt: „Vertraut eurem Team und eurem Trainer“, bat Kuntz all die Enttäuschten aus der zweiten Reihe jüngst um Geduld.

Meyer mit Eigenwerbung
Denn der Coach hat seine Startelf gefunden, zu der auch Serge Gnabry gehört. Der künftige Linksaußen des FC Bayern überzeugte bislang durchgehend. Jede EM-Minute bringt ihn näher an Münchens Kader. Es ist noch unklar, ob der Branchenführer schon zur Saison 2017/18 auf Gnabry setzt oder ihn für ein Praxisjahr verleiht. Als Letzter im Bunde wechselt Dominik Kohr nach der Sommerpause von Augsburg zu Bayer Leverkusen.

Offen ist die Zukunft von Max Meyer. Nach einem schwierigen Jahr auf Schalke hatte das Talent aus der Knappenschmiede angekündigt, den Vertrag nicht zu verlängern. Der Mittelfeldwirbler, im ersten Spiel „Man of the Match“, betreibt mit einem Treffer und einer Torvorlage beim U21-Turnier bislang beste Eigenwerbung. Vielleicht auch wieder für Schalke, wo nach dem Trainerwechsel die Karten neu gemischt werden. Unklar ist, was mit seinem S04-Kollegen Felix Platte passiert. Der Stürmer war zuletzt an Darmstadt 98 ausgeliehen.

Pollersbeck muss keinen Vergleich scheuen
Die neue Nummer eins der U21 dagegen hat das Projekt Präsentierteller wohl schon für sich genutzt. Obwohl der EM-Auftakt von Julian Pollersbeck missriet, ist der Keeper vom Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern wohl mit dem Hamburger SV einig. Gut für den HSV, denn im zweiten Spiel gegen Dänemark zeigte sich der 22-Jährige mit drei Glanzparaden stark verbessert und konnte lässig darüber witzeln, „den Zaubertrank gefunden“ zu haben. Pollersbeck darf nun mutig in den Vergleich mit Italien-Star Gianluigi Donnarumma gehen. Das 18 Jahre alte Wunderkind, Kandidat bei Real Madrid und als legitimer Nachfolger von Torwart-Legende Gigi Buffon gehandelt, hätte sogar am Salzbergwerk in Wieliczka für einiges Interesse gesorgt.

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