Gesucht: die nächste goldene Generation

Auf den Spuren der „Klasse von 2009“? Die deutsche U21 fährt mit großen Zielen zur EM nach Polen, muss in einem schwierigen Umfeld aber ihren eigenen Weg finden.

(Dieser Artikel lief am 16. Juni 2017 bei zdfsport.de)

Frei von Belastung sollen sie rangehen, kein Vergleich soll unnötig Druck aufbauen. „Unter dem Motto: die „eigene Geschichte schreiben“ schickt der DFB seine Junioren in das Turnier um die Europameisterschaft 2017 in Polen. Aber natürlich lauern sie überall, die Maßstäbe, die Vorbilder, die Vergleiche.

Etwa mit der verjüngten A-Nationalmannschaft, die fast zeitgleich beim Confed-Cup in Russland antritt. Vor allem aber mit dem legendären Sprungbrett-Team um Manuel Neuer, Mats Hummels und Sami Khedira, das 2009 die bislang einzige U21-EM für Deutschland gewann.

Letzte Bewährungsprobe
Unterhalb dieses Ziels geht es auch acht Jahre später nicht für die DFB-Akteure. „Wir wollen den Titel holen“, sagt Serge Gnabry vorm Auftakt gegen Tschechien am Sonntag in Tychy forsch. Für den künftigen FC-Bayern-Spieler ist das Turnier eine letzte Reifeprüfung. Es ist noch nicht ganz klar, was sein neuer Klub mit ihm vorhat. Auch anderen Jungstars kommt die Bewährungsprobe gelegen. Auf etliche wartet in der nächsten Saison die Bühne Königsklasse oder Europa League. Etwa auf Mahmoud Dahoud und Maximilian Philipp, die bald mit Borussia Dortmund Champions League spielen.

Die EM soll der Auftakt einer tollen Karriere sein. So wie für die goldene Generation von 2009, die im Finale England mit 4:0 abfertigte und später das Gerüst der späteren WM-Helden von Rio 2014 bildete: Der damalige HSV-Youngster Jerome Boateng stieg bald nach dem EM-Sieg zu Manchester City auf. Hummels und Marcel Schmelzer sollten nur zwei Jahre später Deutscher Meister mit Dortmund werden. Neuer würde 2011 beim FC Bayern anheuern. Oder Khedira und Mesut Özil, die sich 2010 bei Real Madrid wiederfanden.

Warnendes Beispiel
Im Gegensatz zu 2009 scheint das Nachwuchsturnier zwar nicht die höchste Priorität beim DFB zu genießen, der Confed-Cup ist im Weg. Weil Bundestrainer Joachim Löw bei der WM-Generalprobe die zweite Reihe testet, fehlen der U21 gleich acht potenzielle Stammspieler. Nicht nur Joshua Kimmich oder Emre Can hätten beim Junioren-Turnier antreten dürfen, weil sie nach dem 1.1.1994 geboren wurden. „Spieler wie Timo Werner, Leon Goretzka und Matthias Ginter hätten uns stärker gemacht“, klagte U21-Trainer Stefan Kuntz jüngst via „Bild“.

Nach dem kurzfristigen Ausfall von Abwehrchef Jonathan Tah aus Leverkusen kann Kuntz aber immer noch auf vier Akteure mit A-Länderspielerfahrung zurückgreifen: Neben Gnabry sind das der Wolfsburger Maximilian Arnold, der Kölner Yannick Gerhardt und Schalkes Max Meyer. „Wir haben trotzdem einen Kader beisammen, der bei der EM eine richtig gute Rolle spielen kann“, sagt Kuntz. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass die Mannschaft nicht vor Etablierten überquillt. Die U21-EM 2015 dient als warnendes Beispiel. Da war die üppig besetzte DFB-Auswahl großer Favorit, doch nach dem 0:5-Debakel im Halbfinale gegen Portugal wurden deutliche Risse im Team sichtbar.

Turnier der großen Namen
Als verschworener Haufen soll diesmal der große Wurf gelingen. Bislang scheint die Atmosphäre zu stimmen: „Der Teamgeist ist überragend“, lobt Felix Platte, zuletzt von Schalke an Darmstadt 98 ausgeliehen. Auch die Vorbereitung lief nahezu optimal. Bevor das Team nun Quartier in einem Vier-Sterne-Hotel vor den Toren Krakaus bezog – im DFB-Jargon „Basecamp“ genannt – wurde acht Trainingstage lang in Grassau im Chiemgau geschuftet. In 14 intensiven Einheiten brachte der Stab die 23 Charaktere auch gedanklich auf ein Level. So kam die Hoffenheim- und Leipzig-Fraktion mit dem Hochgefühl der Champions-League-Qualifikation, während andere erst Stress des Abstiegskampfs verarbeiten mussten. „Einige waren acht oder zehn Tage auf Ibiza, andere mussten noch Relegation spielen und waren bis zum Schluss unter Druck“, sagt Kuntz.

In dem knackig besetzten Turnier, in dem nicht weniger als 67 Akteure schon A-Länderspiele auf dem Buckel haben, warten starke Gegner. Drei Tage nach dem Tschechien-Auftakt geht es gegen Dänemark, den Höhepunkt bildet das Gruppen-Finale am 24. Juni gegen Italien, das mit Gianluigi Donnarumma antritt. Der 18-Jährige wird als legitimer Nachfolger von Torwart-Legende Gigi Buffon gehandelt.

Ab dem Halbfinale warten womöglich noch größere Namen: Für Portugal, gegen das die DFB-Elf ihre EM-Generalprobe verlor, tritt Münchens Renato Sanches an – ein amtierender A-Europameister. Favorit Spanien schickt unter anderem Atletico Madrids Saul Niguez ins Rennen, als Bayern-Schreck von 2016 in Erinnerung. Dazu Marco Asensio, Reals Supertalent traf jüngst im Endspiel der Champions League. Auch die Konkurrenz hat das Turnier als wichtigen Karriere-Kick für die Shooting-Stars erkannt. In der Hoffnung auf ihre nächste goldene Generation.

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