Im fünften Anlauf will der BVB-Star endlich seinen ersten großen Titel holen. Borussia Dortmunds DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt soll Reus’ Reifezeugnis werden.
(Dieser Artikel lief am 27. Mai 2017 bei zdfsport.de)
Acht Minuten vor Ende der Bundesliga-Saison stockte den Fans von Borussia Dortmund der Atem. Marco Reus blieb regungslos vor der Südtribüne liegen, nachdem er mit Wucht an den Torpfosten geknallt war. Die Verletzungshistorie des BVB-Pechvogels war allen Zuschauern sofort präsent. Und damit die Angst, ihre Nummer elf werde das DFB-Pokalendspiel verpassen.
Doch eine gefühlte Ewigkeit später die Erleichterung: Reus rappelte sich auf, führte sein Team zum Sieg und sagte später lässig: “Ich würde das Finale auch mit einem Bein spielen.”
Kampf gegen das “Verlierer-Gen”
“Ohne Marco können wir unsere Saisonziele nicht erreichen”, hat Trainer Thomas Tuchel wie ein Mantra wiederholt. Minimalziel Nummer eins, die direkte Qualifikation für die Champions League, hat der BVB geschafft. Mit Reus, dank Reus.
Nun winkt die Chance, dass im Pokalduell mit Eintracht Frankfurt ein Titel oben drauf kommt. Denn Dortmunds Sorgenkind spielt zurzeit stabil stark und ist konstant fit. Seit seinem jüngsten Comeback Mitte April gehört er regelmäßig zu den BVB-Besten und erzielte wettbewerbsübergreifend sieben Treffer, häufig das wichtige 1:0.
Der Unvollendete könnte etwas gewinnen, das über den Supercup hinausgeht. Und damit den Boulevard widerlegen, der früher giftete: “Reus hat das Verlierer-Gen.”
Ständig neue Rückschläge
Denn seit der Rückkehr zu seinem Heimatklub 2012 trägt er diesen Makel: Reus hat ein Champions-League-Endspiel verloren und danach drei DFB-Pokalfinale in Folge. 2015 gegen Wolfsburg lag ihm das vorentscheidende 2:0 auf dem Fuß, doch er vergab die Chance. Im vergangenen Jahr gegen den FC Bayern schleppte sich Reus angeschlagen bis ins Elfmeterschießen – umsonst.
Nachdem der Nationalspieler schon den WM-Triumph in Rio 2014 verletzt verpasst hatte, kostete ihn das auch die EM in Frankreich sowie das erste Drittel dieser Saison. Im Frühjahr hat ein Faserriss den Offensivkünstler erneut zurückgeworfen, so dass er diese Spielzeit wieder nur auf 23 von 50 möglichen Einsätzen kommt.
Zorc: “Er ist gereift”
An seinen Qualitäten gibt es keine Zweifel: Trotz der Pechsträhnen gelangen Reus in 188 Dortmund-Partien satte 89 Treffer und 61 Torvorlagen. Darüber hinaus scheint er nun auch körperliche Krisen besser zu verpacken und Kraft aus dieser Erfahrung zu schöpfen.
Das berichten jedenfalls Mitspieler und die BVB-Chefs unisono. Trainer Tuchel etwa sagt, sein flinker Linksaußen habe “wahnsinnig an Persönlichkeit gewonnen”. Sportdirektor Michael Zorc ist sicher: “Marco ist nach seiner Verletzung deutlich präsenter. Er ist gereift.”
Früher musste sich der “Mann ohne Eigenschaften” (“SZ”) den Vorwurf gefallen lassen, in großen Spielen abzutauchen. Nun tritt Reus selbstbewusst auf, die Körpersprache stimmt.
Vorneweg gegangen
Wie beim Pokal-Halbfinale in München, in dem er – natürlich – zur Führung traf. Reus geht voran, wie beim 4:3 im letzten Liga-Spiel über Bremen, als er erst das 1:0 erzielte, später per Elfmeter Verantwortung übernahm und am Ende noch Pierre-Emerick Aubameyang mit Selbstvertrauen auflud, sich die Torjägerkanone zu schnappen.
Es ist überdeutlich: Er will “endlich, endlich”, wie er selbst fleht, diese Karriere-Delle ausbeulen und im Berliner Olympiastadion gewinnen. “Ich freue mich unglaublich auf das Finale”, sagt der Routinier: “Ich werde bereit sein, wir werden bereit sein.”
Einmalige Chance
Sollte er auch sein, denn ob die Zukunft ähnliche Chance bereithält, ist offen. Zwar gönnt die Nationalelf dem verletzungsanfälligen Reus im Sommer eine Pause beim ungeliebten Confed Cup. Doch selbst einem ausgeruhten “Woodyinho” droht der nächste Umbruch bei der Borussia.
Einem möglichen Trainerwechsel von Tuchel auf seinen früheren Förderer Lucien Favre mag er sogar gelassen entgegensehen. Aber ein lukrativer Verkauf von Stürmerstar Aubameyang würde ihn nicht nur eines Kumpels berauben, sondern dem Klub wohl gravierende Sturmprobleme bescheren, die Reus alleine nicht beheben kann.
Titel als Argument pro BVB
Diese Unsicherheit könnte den Offensivstar bewegen, zum Karriere-Ende vielleicht doch noch mal einen Klub mit Titelgarantie zu suchen, anstatt den bis 2019 laufenden Vertrag zu verlängern und damit zur Dortmund-Ikone zu werden. Umso wichtiger für die Borussia, dass er nun den DFB-Pokal in den Berliner Nachthimmel reckt. Falls Teamkollege Marcel Schmelzer nicht fit ist, würde es Reus drei Tage vor seinem 28. Geburtstag sogar als BVB-Kapitän tun.