BVB-Ikone, Kompass und Stratege

Nuri Sahin ist Borussia Dortmunds Seele. Obwohl der 28-Jährige auf die Zielgerade der Karriere einbiegt und nur noch selten zum Einsatz kommt, mag der Klub nicht auf ihn verzichten.

(Dieser Artikel lief am 12. und 13. Mai 2017 bei zdfsport.de)

Ende Februar, es ist wie immer zugig und frisch am Trainingsgelände der Borussia im Dortmunder Vorort Brackel. Nuri Sahin hält das nicht ab. Während die Teamkollegen in Freiburg auf drei Punkte aus sind, führt der erneut nicht für den Profi-Kader nominierte Mittelfeldspieler den Wintereinkauf Alexander Isak in schwarz-gelbe Folklore ein.

Mit der neuen Sturmhoffnung besucht er das Derby der BVB-U19 gegen den Revierrivalen Schalke. Obwohl die eigene Karriere nach einer Verletzung gerade mal wieder stockt, ist Dortmunds Urgestein nicht bockig – ganz im Gegenteil.

Ein Fußballerleben lang in Schwarz-Gelb
Sahin ist für seinen BVB da, ob als Fremdenführer, Bankdrücker oder Antreiber auf dem Rasen. Schwarz-Gelb liegt in der DNA des 28-Jährigen, daran können kurze Gastspiele bei Feyenoord Rotterdam, Real Madrid und beim FC Liverpool nichts ändern. „Jeder weiß, wie wohl ich mich in Dortmund fühle. In der Stadt, im Stadion mit unseren außergewöhnlichen Fans. Der BVB ist der Klub meines Herzens“, sagte Sahin jüngst, als der Verein den Vertrag bis 2019 verlängerte. Trotz stattlicher Krankenakte und obwohl er nicht als Schlüsselspieler im System des inzwischen heftig diskutierten Trainers Thomas Tuchel gilt.

Der Klub wird nicht müde, neben sportlichen auch die menschlichen Qualitäten seines Angestellten zu loben. „Er ist ein Kind der Region, ein richtig guter Typ und im Verein tief verwurzelt“, sagt BVB-Chef Hans-Joachim Watzke über den Sauerländer Sahin. Bei Vertragsende wird er fast 16 Jahre beim BVB gewesen sein, ein erfülltes Fußballerleben lang.

Ikone des BVB
Die Fans freut es, dass die Chefetage aus Fehlern gelernt hat und Publikumslieblinge nicht mehr kühl abschiebt, wenn sie nicht in Tuchels Konzept passen. Sahin verkörpert wie kaum ein Zweiter die romantische Idee der „Echten Liebe“, die für kurze Zeit mehr war als nur ein PR-Konzept. Das Foto des Knaben Nuri, der als Balljunge vor der „Süd“ einen BVB-Treffer bejubelt, gehört genauso zur Klub-Ikonographie wie der im Kölner Regen an Lukas Podolski vorbei rutschende Torschütze Sahin: mit Ätschibätsch-Zeigefinger, weil der damalige FC-Stürmer ihn zuvor verhöhnt hatte.

Von Tuchel kaum gebraucht
Sportlich allerdings hat er seit seiner emotionalen Rückkehr zum BVB im Winter 2013 nie an die Glanzzeiten angeschlossen. Stets warfen Verletzungen den Meister-Dirigenten der frühen Klopp-Ära zurück. Zwei Drittel der vergangenen Saison verpasste er wegen einer Sehnenreizung. Mitte dieser Spielzeit machte ihm das Knie zu schaffen. Zuletzt setzte ihn ein Anriss des Außenbandes matt. Aber selbst wenn er fit ist, greift der Trainer nur selten auf seinen Kreativ-Strategen zurück, obwohl er ihn stets über den grünen Klee lobt. In der Hinrunde verzichtete Tuchel fast komplett auf Sahins Dienste, selbst als der Kader arg ausgedünnt war. So kommt er bislang lediglich auf acht Einsätze, wettbewerbsübergreifend.

Beeindruckendes Interview
Dabei zeigte er im April, welchen Wert er für die Mannschaft haben kann. Insbesondere gegen AS Monaco in der Champions League trumpfte Sahin auf. Beim in jeder Hinsicht schwierigen Hinspiel, das unter dem Eindruck des Bombenanschlags auf den BVB-Bus stand, war es der Halbzeit-Joker Sahin, der das Team mitriss und Dortmunds Chance aufs Halbfinale wahrte. Im Rückspiel gehörte er erneut zu den Besten, ehe Tuchel ihn aus Taktik-Gründen opferte. Zudem beeindruckte Sahin in der schwersten Stunde des Teams mit seiner empathischen Art als moralischer Kompass. In einem denkwürdigen TV-Interview gewährte der sensible Familienvater Einblick in die Borussen-Seele und erinnerte daran, dass hinter jeder Profifassade nur Menschen stecken.

Pokalfinale als großes Ziel
Vom Balljungen im früheren Westfalenstadion zum jüngsten Spieler und Torschützen der Liga-Geschichte; vom besten Akteur im Meisterjahr 2011 zum Routinier, Antreiber und Meinungsführer: Die Karriere des 50-maligen türkischen Nationalspielers kann sich sehen lassen. Für ein Ziel gilt es sich aber zu strecken: den DFB-Pokal. Seit dieser Woche ist Sahin zurück im Training und hofft, dass es fürs Endspiel reicht, nachdem er Dortmunds Double 2012 wegen des Real-Abenteuers verpasste und zuletzt drei Finalpleiten erlebte.

„Aller guten Dinge sind vier“, sagte Sahin gewitzt, als ihn die Borussia jüngst als Repräsentanten nach Berlin schickte. Weil er da noch nicht wieder fit war, vertrat er seinen Herzensklub bei der offiziellen Pokalpräsentation in Berlin, dem PR-Vorlauf zur Partie am 27. Mail im Olympiastadion gegen Eintracht Frankfurt. Aber ganz sicher auch, weil Sahin eine prägende Figur geworden ist, die selbst neben dem Platz alles für seinen BVB gibt.

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Das ist Nuri Sahin

Der Sauerländer Nuri Sahin wurde 1988 in Lüdenscheid geboren und wuchs in Meinerzhagen auf. 2001 wechselte er in die Jugendabteilung von Borussia Dortmund. BVB-Trainer Bert van Marwijk beorderte den talentierten Mittelfeldspieler 2005 direkt von der B-Jugend in den Profikader. In der Saison 2005/2006 feierte Sahin sein BVB-Debüt und stellte etliche bis heute gültige Rekorde auf: Mit 16 Jahren 355 Tagen war er der jüngste Spieler der Bundesliga-Geschichte, mit 17 Jahren und 82 Tagen deren jüngster Torschütze. Im Oktober 2005 feierte er zudem seine Länderspielpremiere für die Türkei und erzielte gleich einen Treffer – beim Sieg über Deutschland.

Weil er 2007 unter Dortmunds neuem Trainer Thomas Doll nicht gebraucht wurde, folgte Sahin seinem Förderer van Marwijk zu Feyenoord Rotterdam, wo er holländischer Pokalsieger wurde. Aber bereits 2008 holte der BVB seinen hoch geschätzten Leihspieler zurück, und unter Jürgen Klopp entwickelte sich der defensive Mittelfeldspieler zur Dortmunder Schaltzentrale. Nach dem Gewinn der Meisterschaft 2011 wurde Dortmunds Nummer acht zum Spieler der Saison gewählt.

Danach lotste ihn Jose Mourinho für die festgeschriebene Ablöse von 10 Millionen Euro zu Real Madrid. Obwohl Sahin mit den Königlichen Meister wurde, stand sein Ausflug nach Spanien unter keinem guten Stern. Er war oft verletzt und kam nur auf 10 Pflichtspiele. Nicht viel besser erging es ihm beim FC Liverpool, wohin er in der Saison 2012/13 ausgeliehen wurde. In der Winterpause jener Spielzeit nutzte Dortmund die Gunst der Stunde und holte den „verlorenen Sohn“ zurück.

Bislang hat Sahin für seinen BVB insgesamt 248 Pflichtspiele bestritten, dabei 24 Treffer erzielt und 46 Torvorlagen gegeben. Sein Vertrag wurde am 25. April dieses Jahres vorzeitig bis 2019 verlängert.

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