Chancenlos gegen die Tormaschine der Ligue 1: Dortmunds Traum vom Halbfinale in der Champions League ist geplatzt. Wie die Saison in der Königsklasse nun zu bewerten ist, fällt dem Trainer aufgrund der besonderen Umstände schwer.
(Dieser Artikel lief am 20. April bei zdfsport.de)
Als Thomas Tuchel im Bauch des Stade Louis II vor die Presse trat, war ihm die Enttäuschung über die 1:3-Pleite beim AS Monaco anzusehen. Der dunkelblaue Champions-League-Pulli ließ den BVB-Trainer noch blasser als sonst erscheinen, bei jeder Übersetzung des französischen Dolmetschers ging sein Blick ins Leere.
Es schien, als brenne es in ihm, nun alle Fehler seines Teams anzusprechen, aber auch die eigenen. Doch angesichts der dramatischen Umstände des Viertelfinales, die auch acht Tage nach dem Bombenanschlag auf den BVB alles überlagerten, rang sich der Coach zu einer Bitte durch: “Es wäre unfair, jetzt ein Resümee zu ziehen. Wir dürfen beide Partien nicht als Maßstab sehen.”
Schon nach drei Spielminuten in Monaco schwanden die BVB-Hoffnungen, die 2:3-Hinspiel-Hypothek mit einer Energieleistung noch auszugleichen. Gleich Monacos erster Angriff saß, Shooting-Star Kylian Mbappé staubte zum 1:0 ab. Für den 18-Jährigen war es bereits der fünfte Treffer in der K.-o.-Runde der Königsklasse. Für Dortmund dagegen ein emotionaler Tiefschlag, nachdem die Mannschaft zuletzt wieder Optimismus entwickelt hatte. “Das hat uns Überzeugung gekostet”, sagte Tuchel. “Da kommt das Gefühl auf: Ist das wirklich unser Abend heute?” Die weiteren Treffer durch Monacos Radamel Falcao (17. Minute) und Valère Germain (81.) beantworteten diese Frage deutlich.
BVB-Bus durfte nicht abfahren
Der BVB hatte in seinem 100. Champions-League-Auftritt nicht viel dagegenzuhalten. Nur selten entwickelte Schwarz-Gelb jene Offensivkraft, die auf europäischer Ebene in der gesamten Vorrunde so hell gestrahlt hatte und noch im Achtelfinal-Rückspiel gegen Benfica Lissabon zu bestaunen war. Der Anschlusstreffer von Marco Reus drei Minuten nach der Halbzeitpause war zu wenig, um zum vierten Mal in der Klubgeschichte ins Halbfinale der Königsklasse einzuziehen.
Welche Rolle die Ausnahmesituation auf das sportliche Abschneiden der Borussia spielte, wird nie zu klären sein. Ob Dortmund unter normalen Umständen Monacos Tormaschine gestoppt hätte? Auch im Rückspiel konnte sich der BVB nicht von den Vorfällen der vergangenen Woche lösen: Um ein Zeichen für den Zusammenhalt zu setzen, hatte Tuchel extra den bei der Attacke verletzten Marc Bartra eingeflogen. Doch das gute Gefühl war vor Anpfiff schon wieder dahin, als die Abfahrt des BVB-Busses zum Stadion aus Sicherheitsgründen um rund eine Viertelstunde verzögert wurde. Für Tuchel “ein beklemmendes Gefühl. Da konnte keiner an Fußball denken.” Die Spieler nahmen diesen Vorfall später viel lockerer, aber ob es nicht doch unterbewusst die Vorbereitung störte, bleibt offen.
Eine Nummer zu groß
Urteile über die BVB-Auftritte sind vor diesem Hintergrund schwierig, aber man tritt dem Team vermutlich nicht zu nahe, wenn man sagt: Das Halbfinale der Königsklasse ist noch eine Nummer zu groß.
Vor allem in der Abwehr gibt es gegenüber Teams wie Real Madrid, Juventus Turin, Atletico Madrid oder selbst Monaco Aufholbedarf. In Sokratis verfügt der BVB nur über einen Top-Innenverteidiger. Ob sich die Situation nächste Saison allein mit dem Wechsel von Ömer Toprak bessern wird, ist fraglich.
Auf den Außen scheinen die Westfalen ebenso wenig auf höchstem Niveau aufgestellt. Aber auch hier ist unklar: Wie hätte die Abwehr mit Bartra gestanden? Wie sehr hat Lukasz Piszczek gelitten? Auch im Rückspiel unterlief dem früheren Mr. Zuverlässig ein schwerer Schnitzer vor dem dritten Gegentreffer.
Tuchel verzockt sich
Lernbedarf gibt es nach nun 100 BVB-Pflichtspielen sicher auch bei Tuchel. Der Trainer denkt manchmal zu sehr um die Ecke. So nahm er seinem Team bei der vermeintlichen Aufholjagd im Fürstentum den Dampf, indem er Ousmane Dembelé und Christian Pulisic für eine Schlussoffensive schonte und zunächst auf die Bank setzte – ohne zu wissen, ob die dann überhaupt möglich sein würde. Auch der Poker mit Erik Durm ging daneben. Der hatte zuletzt vier Wochen gefehlt und man sah ihm die fehlende Spielpraxis an. Außerdem beorderte Tuchel zur Pause in Nuri Sahin den besten Dortmunder vom Feld, weil er dem Trugschluss erlag, so die Offensive zu stärken.
Warum Tuchel trotz guter Erfahrung mit einer 4-4-2-Grundordnung in der starken zweiten Hälfte des Hinspiels wieder zur Dreier-Abwehrkette zurückkehrte, war auch nicht ersichtlich. Am Ende kann der Trainer für sein Team, aber auch für sich nur vage resümieren: “Unsere Bilanz in der Champions League ist absolut top. Die Spiele gegen Monaco stehen in Klammern.”