Watzkes schwere Wochen

Die leere Südtribüne beim Spiel gegen Wolfsburg war nur das deutlichste Zeichen von ganz vielen: Borussia Dortmund durchlebt eine heikle Identitätskrise, an der auch Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zu knabbern hat.

(*Dieser Artikel lief am 18.2.2017 bei zdfsport.de*)

Wortlos verließ Hans-Joachim Watzke Mitte der Woche das „Stadion des Lichts“ in Lissabon, das aus Dortmunder Sicht zum Schluss so mausgrau erschien wie die eiserne Doppeltür am Ende der Mixed Zone. Durch die ärgerliche 0:1-Hinspiel-Pleite in der Champions League bei Benfica legten sich weitere Sorgenfalten ins müde Gesicht des BVB-Chefs.

Nun muss der 57-Jährige auch ums Viertelfinale der Königsklasse bangen – neben all den Problemen, die er ohnehin hat: mit seinem Team, das den Liga-Ansprüchen hinterherhinkt; mit seinem Trainer, der im Borussen-Universum verloren wirkt. Mit Medien, die nicht differenzieren. Oder mit Teilen der Fans, die sich lange vor den beschämenden Vorfällen rund ums RB-Leipzig-Spiel von ihrem Lieblingsklub entfremdet haben.

Zwischentöne werden überhört
Da “die Süd“ gegen Wolfsburg erstmals leer blieb, steht nun auch Watzke im Fokus. Einige Anhänger, zumal aus der Hardcore-Fraktion, legen es ihm als Schwäche aus, diese Kollektiv-Strafe des DFB akzeptiert zu haben. Zwischentöne werden überhört. Etwa den, dass Borussia die Tribünensperre für unverhältnismäßig hält, aber wegen der hart geführten öffentlichen Debatte keine Alternative sah. Ein Einspruch wäre als Flucht vor der Verantwortung ausgelegt worden. Verantwortung für das Fehlverhalten jener Anhänger, die am 4. Februar Leipziger Auswärtsfans angriffen oder geschmacklose Plakate gegen RasenBallsport hochhielten.

Seitdem tragen einige Medien zur vergifteten Atmosphäre bei, weil sie alle 25.000 Menschen auf der Süd zur „Wand der Schande“ machen, während sie nicht mal zwischen so heterogenen Ultras wie „The Unity“ oder „Desperados“ unterscheiden können oder zwischen „0231 Riot“ und dem Fanzine schwatzgelb.de. Watzke selbst wurde mitunter als Brandstifter verurteilt, jedes Maß scheint verloren. Denn zwischen seiner pointierten Kritik, der Getränkeriese Red Bull nutze RB Leipzig, „um eine Dose zu performen“, und den hässlichen Szenen im früheren Westfalenstadion besteht kein kausaler Zusammenhang.

Riss im Innenverhältnis
Vereinzelt wurden Ultras sogar als „Watzkes Werkzeug“ dargestellt, deutlicher kann man aber nicht daneben liegen. Vielmehr gibt es einen tiefen Riss. Schon vor Saisonstart entzog der Klub etliche Auswärtsdauerkarten. In den letzten Monaten gab es immer wieder Anti-Watzke-Plakate. Wegen des vermeintlich stillosen Umgangs mit früheren „Echte-Liebe“-Helden oder wegen der verhassten Internationalisierung.

Zuletzt, so ist im BVB-Umfeld zu hören, verweigerten ihm die Anhänger die Gefolgschaft, als Watzke auf eine gemeinsame Erklärung von Verein und Fans drängte, in der man sich von den scheußlichen Spruchbändern distanziert. Im Gegenzug wird der Klub nun wohl hart gegen jene bislang 61 identifizierten Personen durchgreifen, die nach Vereinsangaben „offensichtlich an der Präsentation bzw. an Vorbereitungsmaßnahmen beleidigender Plakate aktiv beteiligt waren“.

Wachstums-Strategie auf der Kippe
Dass der harte Kern der Süd jüngst gegen Kapitän Marcel Schmelzer ansang, als dessen „Sorry“ für die Leipzig-Vorfälle via Anzeigetafel lief, spricht Bände über das Innenleben eines Klubs, der nicht erst seit diesem Image-GAU seine Mitte sucht. Genau wie die Tatsache, dass die Konfrontation unvermindert weitergeht. Etwa durch jene 88 Hooligans, die auf dem Weg zum Auswärtsspiel in Darmstadt mit Pyrotechnik, Sturmhauben, Kampfhandschuhen und Drogen von der Polizei gestoppt wurden. Alle bekamen im Schnellverfahren Stadionverbot, es werden nicht die Letzten sein.

Es macht es nicht einfacher, dass Watzke noch andere Baustellen hat. Das Team bleibt in seinen Leistungsschwankungen ein Rätsel. Immer noch befindet sich die Borussia im Umbruch, teure Einkäufe wie die Weltmeister Mario Götze und André Schürrle suchen ihre Rolle. Über Verletzungspech, Dauer-Rotation und wechselnde Grundformationen scheint der Borussia die prägende Spielidee verloren gegangen zu sein. Die direkte Qualifikation für die Champions League ist in Gefahr – und damit Watzkes Wachstums-Strategie. Mit auf der Kippe steht Dortmunds Rolle als Gravitationspunkt für immer neue Toptalente. Bislang wurden Kracher wie Ousmane Dembélé durch die Aussicht auf tolle Fans, ein ruhiges Umfeld und Einsätze auf dem Niveau der Königsklasse angelockt.

Tuchels Zauber schon verflogen?
Außerdem ist längst nicht geklärt, ob die Zeit mit Trainer Thomas Tuchel als Ära oder Experiment in die Klubgeschichte eingehen wird. Der Zauber der Debütsaison ist verflogen. Unverhohlen verlangt Watzke vom Trainer Rang drei am Saisonende, während der immer mehr sein eigenes Ding zu machen scheint und Gespräche über einen neuen Vertrag auf den Sommer schiebt.

Wilde Gerüchte über einen Tuchel-Wechsel zu Arsenal London oder eine Rückkehr von BVB-Jugendcoach Hannes Wolf haben in genau dieser diffusen Stimmung ihren Ursprung. All das muss Macher Watzke derzeit moderieren, erklären oder entschuldigen. Er sieht dabei eher aus wie ein Getriebener denn wie ein Gestalter.

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