Das Derby der umgekehrten Vorzeichen

Für Borussia Dortmund ist der Revierschlager eher die Sprint-Wertung vor einer schweren Bergetappe. Gegner Schalke 04 bedeutet das Prestigeduell aktuell viel mehr.

(*Dieser Artikel lief am 31.3. und 1.4.2017 bei zdfsport.de*)

Vorm 172. Revierderby blüht die Tradition und die Folklore. FC Schalke gegen Borussia Dortmund – das ist ein Spiel wie kein anderes. Der emotionale Ausnahmezustand zieht auch Christian Heidel vor seinem ersten Heimderby als S04-Manager in den Bann.

Selbst außerhalb der Stadtgrenzen Gelsenkirchens, an der Kasse beim Tanken, habe er gespürt: „Es ist im ganzen Ruhrgebiet ein Thema.“ Für viele Fans stellt es das Saison-Highlight dar, doch für ein Team gilt das nur bedingt: Die Chefs beim BVB sehen im Duell mit dem Erzrivalen eher den Start für etwas Größeres.

Welt ginge nicht unter
„Das Derby bildet den Auftakt zu wegweisenden Wochen. Auch deshalb ist es extrem wichtig für uns“, sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc und ordnete die Prestigepartie eher nüchtern ein. Die ambitionierte Borussia will in der Bundesliga mit einem Zwischenspurt möglichst schnell die direkte Qualifikation für die Champions League festigen.

Ob das über Rang drei hinter dem FC Bayern und RB Leipzig funktioniert oder sogar als Vizemeister, ist relativ unwichtig. Bei einer Derbypleite geht die schwarz-gelbe Welt nicht unter, zumal auch die Konkurrenz regelmäßig schwächelt.

Kalkuliertes Risiko beim BVB
Wirklich spannend wird es erst danach. Ende April hat Dortmund die Möglichkeit, zum fünften Mal in sechs Jahren das DFB-Pokalendspiel in Berlin zu erreichen. In einer einzigen Partie, so die Hoffnung, ist auch im Halbfinale in München etwas zu holen. So wie vor zwei Jahren, als die lange hoch überlegenen Bayern noch im Elfmeterschießen ausrutschten.

Noch mehr aber elektrisiert die Borussia die Aussicht auf ein Halbfinale in der Champions League. Im Duell mit dem AS Monaco ist die Chance greifbar und mit Losglück und guter Tagesform könnte sogar noch mehr drin sein in einer Spielzeit, die nur als Übergangssaison galt. Es würde nicht verwundern, wenn Rotationsweltmeister Thomas Tuchel den BVB bereits zehn Tage vorm ersten Königsklassen-Spiel lieber auf Europa ausrichtet, ohne Rücksicht auf Derby-Verluste. Kalkuliertes Risiko ist Dortmunds Trainer schon so oft eingegangen, trotz der Gefahr, beinahe der Gewissheit, Rückschläge in der Liga zu erleiden. Marco Reus etwa wird daher aus Dortmunder Sicht keine Rolle spielen, obwohl der Pechvogel nach auskuriertem Muskelfaserriss schon wieder trainiert.

Derbysieg wertet Saison auf
Wie so oft in der jüngeren Derby-Geschichte hat es für das schlechter platzierte Team enormen Reiz, das Duell für sich zu entscheiden – und sei es, um eine mäßige Spielzeit zu retten. Das muss nicht immer so auf die Spitze getrieben werden wie 2007, als ein ansonsten schwacher BVB am Saisonende die Meisterschaft der verächtlich als „Herne West“ titulierten Schalker torpedierte. In dieser Saison läuft Königsblau den Erwartungen hinterher, folglich könnte ein Sieg über die Nachbarn aus „Lüdenscheid Nord“ dafür entschädigen, dass der Klub bei aktuell zwölf Punkten Rückstand auf Rang vier wohl die Teilnahme an der lukrativen Champions League verpasst.

In der Europa League sind die Knappen zwar noch dabei, in der Bundesliga aber stehen sie unter Druck. Nach Schwächephasen zu Beginn und am Ende der Hinrunde könnten sie die gefährlichen Tabellenregionen nun endlich deutlich hinter sich lassen und Kontakt zu Rang sechs aufnehmen, der für den erneuten Start in der Europa League reicht. Das würde die bislang dürftige Debütsaison von Manager Heidel und Trainer Markus Weinzierl sprunghaft aufwerten, zumal die Knappen seit über zweieinhalb Jahren sehnsüchtig darauf warten, den verhassten Erzrivalen mal wieder zu schlagen. Weinzierl fiebert folglich seinem Derby-Heimdebüt in der Arena auf Schalke samt einmaliger Atmosphäre entgegen: “Wir versuchen das zu nutzen. Jeder brennt darauf.“

Schalke setzt auf den Trend
Selbst ein Saisonende irgendwo im Nirgendwo ließe sich mit vier Zählern gegen den BVB und als ungeschlagener Derbyheld verkaufen. Bereits der verdiente Punktgewinn im Hinspiel im früheren Westfalenstadion, bei dem Schalke eine Halbzeit lang keinen einzigen Dortmunder Torschuss zuließ, war Balsam für die geplagte Seele. Auch nun scheint S04 rechtzeitig in Fahrt zu kommen. „Dortmund ist spielerisch noch etwas weiter als wir. Aber wir haben zuletzt einen Lauf gehabt und müssen diesen Schwung mitnehmen“, kündigt Kapitän Benedikt Höwedes an. Auch Olaf Thon ist zuversichtlich: „Es würde ins Stimmungsbild passen, die Euphorie keimt spürbar auf“, sagte die Klub-Ikone dem „kicker“.

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