Dortmunds Ausweg aus der Achterbahn

Zwischen Offensivgala und Abwehrschwäche – der Umbruch-BVB sehnt sich nach Kontinuität. Vor dem Gruppenendspiel in der Champions League bei Real Madrid stellt sich die Frage, ob gedrosselte Rotation eine schwarz-gelbe Jahresendrallye starten könnte.

(*Dieser Artikel lief am 6. und 7.12.2016 bei zdfsport.de*)

So haben die Dortmund-Fans Thomas Tuchel selten erlebt: Die gleichen Spieler, die er nach der 1:2-Pleite in Frankfurt vor gut anderthalb Wochen noch öffentlich zusammengefaltet hatte, herzte der Trainer nun innig: Nach dem 4:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach am jüngsten Spieltag der Bundesliga klatschte Tuchel jeden einzelnen Akteur auf dem Rasen ab.

Roman Weidenfeller, dem er nach der Verletzung von Stammkeeper Roman Bürki sogar indirekt den Rucksack umhing, das sei „das Schlimmste, was passieren konnte“, zog er sogar kräftig an sich ran für eine Umarmung. Selbst im persönlichen Umgang fährt Dortmund gerade Achterbahn.

Kein Wunder, dass die Sehnsucht nach Konstanz das große Thema ist bei der Borussia, die zwischen den Extremen Offensivgala, Kreativ-Vakuum und Abwehrschwäche ausschlägt. „Wir müssen wieder mehr Kontinuität gewinnen“ forderte Marco Reus nach dem Sieg über Gladbach. An eben jenem Reus wird sich schon in der letzten Partie der Gruppenphase der Champions League bei Real Madrid zeigen, ob das Spiel der Dortmunder in festere Formen gerinnen kann.

Als Matchwinner mit drei Torvorlagen hat der lange verletzte Nationalspieler seinen Wert gezeigt, genauso wie schon im ersten Teil seines Comebacks: Mit zwei Treffern und einem erzwungenen Eigentor bei der irren 8:4-Gala in der Königsklasse gegen Legia Warschau. Gegen Real müsste „Woodyinho“ also eigentlich erste Wahl sein, immerhin steht Rang eins in der Gruppe F auf dem Spiel. Schon ein Remis würde den Westfalen die höhere Wahrscheinlichkeit bescheren, im Achtelfinale einen leichteren Gegner zu bekommen. Andererseits will und darf der BVB angesichts der Verletzungshistorie seiner Nummer elf auch nichts übereilen. Gut möglich also, dass Reus in Madrid wieder auf die Bank rotiert.

Ähnlich sieht es bei Ousmane Dembélé aus. Bei der Pleite in Frankfurt, die Tuchels Teamschelte erst auslöste und den BVB atmosphärisch in den Keller riss, hätte der Tempodribbler als Joker fast noch die Wende gebracht. Gegen Gladbach zeigte er seine bislang beste Leistung für Schwarz-Gelb, weil er die Tricks und Finten viel zielgerichteter einsetzte und auch die Defensivarbeit nicht mehr vergaß. „Er hat absolut den Unterschied ausgemacht“, lobte Tuchel. Dembélé gibt dem BVB das gewisse Etwas. Sein Zusammenspiel mit Reus und Stürmerstar Pierre-Emerick Aubameyang ist ein großes Versprechen, das die Fans gerne eingelöst sähen. Andererseits besteht die Gefahr, den 19-Jährigen mit Erwartungen zu überfrachten. „Er hat vielleicht schon eine etwas zu tragende Rolle bei uns“, bremst Tuchel.

Der Wechsel von Grundformation und Ausrichtung belastet die Borussia ebenfalls. Auch hier frönt Taktiktüftler Tuchel mit anderthalb Jahren Verspätung seiner früheren Mainzer Passion und tauscht beizeiten im 3,5-Tages-Rhythmus das Spielsystem. Viererkette, Dreierkette, 4-1-4-1 oder wie zuletzt wieder eine so genannte Doppelsechs im defensiven Mittelfeld. Gegen den FC Bayern zog er noch das Gimmick Doppelspitze aus dem Hut. Dortmunds neues Repertoire ist beeindruckend, aber manchmal bleibt das Gefühl, besonders bei Auswärtsspielen würde eine Wohlfühlvariante die Suche nach der eigenen Mitte erleichtern.

Sollte Tuchel seine Rotationsmaschine in den verbleibenden vier Spielen bis Weihnachten drosseln und einer Startelf in fester Ordnung wiederholt das Vertrauen schenken, könnte sie verstärkt im Wettbewerbsmodus Automatismen einüben. Für eine Jahresendrallye des börsennotierten Klubs in der Bundesliga wäre das eine Grundlage. Nach Madrid steht mit dem Auswärtsdoppelpack in Köln und in Hoffenheim die Bergetappe für den Betriebsfrieden an: Gegen direkte Konkurrenten im Kampf um Platz drei könnte der BVB Ausrufezeichen setzen und seinen Trainer bestätigen, der zur Teamschelte-Diskussion sagt: „Das Thema ist intern viel kleiner als von außen wahrgenommen.“

Das Presse-Echo allerdings war für Dortmunder Verhältnisse unerwartet harsch und hatte die Borussia wohl auf dem falschen Fuß erwischt. Vier Tage brauchte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, um die Medienhoheit zurück zu erlangen. Noch bemerkenswerter aber war die Reaktion der Fans. Nachdem sich viele Anhänger mit der Nach-Klopp-Ära arrangiert hatten, trat nun das wichtige BVB-Fanzine schwatzgelb.de die Grundsatzdebatte los, ob der vermeintlich distanzierte Trainer überhaupt zu einem Klub wie Dortmund passe: „Jemand, der nicht einmal einen Versuch unternimmt, die BVB-Fans und das emotional aufgeladene Umfeld unseres Vereins zu verstehen und mit in sein Boot – unser Boot – zu nehmen, genießt auf Dauer keinen Rückhalt.“

Ausschläge nach oben und unten – das gilt in Dortmund gerade überall. Wie in dieser diffusen Gemengelage die anstehenden Gespräche zur vertraglichen Kontinuität ablaufen werden, dürfte interessant werden. Tuchels Kontrakt läuft 2018 aus, und es ist kaum vorstellbar, dass der Klub ohne eine Entscheidung darüber in die nächste Saison gehen wird.

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