Raphael Guerreiro – Dortmunds Kompakt-Batterie mit Chef-Format

Der BVB kämpft gegen den Trend und hofft schon für das wichtige Rückspiel gegen Sporting Lissabon auf frische Impulse seines Europameisters. Perspektivisch hat Raphael Guerreiro der runderneuerten Borussia aber noch viel mehr zu bieten.

(*Dieser Artikel lief am 1.11.2016 bei zdfsport.de*)

Nicht einmal 500 Spielminuten hat Raphael Guerreiro für Borussia Dortmund auf dem Buckel. Aber beim BVB wissen sie längst, was sie an ihrem Europameister haben. Als der Portugiese jüngst im Endspurt des 171. Revierderbys den Platz enterte, straffte sich die bedenklich taumelnde Borussia deutlich und hätte fast doch noch den Erzrivalen Schalke bezwungen.

Trotz weniger Einsätze ist Guerreiro schon Ballmagnet und Antreiber. Auf der Nummer 13 liegen große Hoffnungen, dass Schwarz-Gelb die Oktober-Depression vertreibt und nach vier Sieglos-Spielen in der Bundesliga und einem Beinahe-Ausrutscher im DFB-Pokal schnell wieder auf Kurs kommt.

Als Benfica-Fan sicher vorneweg

Guerreiro hat seinen Muskelfaserriss auskuriert und das ist wichtig für die Westfalen. Denn das Spiel des BVB wirkt ganz anders, wenn er mit auf dem Platz steht. Der Portugiese ist ein quirliger und zweikampfstarker Techniker mit Übersicht und gefährlichen Standards. Trotz nur 1,70-Meter Länge und 67 Kilo Gewicht ist er fußballerisch kein Leichtgewicht. Limits des Körpers waren „nie ein Problem für mich“, sagt Guerreiro. „Ich habe andere Wege gefunden um mitzuhalten.“

Vor allem strahlt er Selbstvertrauen aus und geht mutig voran. Qualitäten, die der Umbruch-BVB dringend braucht, zumal im wegweisenden Rückspiel der Königsklasse gegen Sporting Lissabon. Bei einem Heimsieg würde die Borussia – mit Guerreiro als Fan des Lokalrivalen Benfica sicher vorneweg – den Einzug ins Achtelfinale feiern und vorzeitig ein erstes Saisonziel erreichen. Damit könnte sich Dortmund bis zur Winterpause auch etwas mehr auf die Bundesliga konzentrieren.

Ein Weltstar gönnt ihm Freistöße

Obwohl Raphael Adelino Jose Guerreiro erst 22 Jahre alt ist, wird er im Kontext der neuen BVB-Rasselbande oft vergessen. Er ist kein normaler Youngster, sondern bereits zweifacher Vater, der Verantwortung für die Familie über alles stellt. Im Profifußball sammelte er 162 Einsätze und wirkt beinahe eine Kicker-Generation reifer als etwa die nur drei Jahre jüngeren Shooting-Stars Emre Mor oder Ousmane Dembélé. Der Sohn eines Portugiesen und einer Französin wuchs im Pariser Vorort Le Blanc-Mesnil auf und wurde in der Eliteakademie Clairefontaine ausgebildet.

Seine Mitspieler damals hießen unter anderem Paul Pogba oder Raphael Varane. Kein Wunder, dass sich solch ein Talent in Portugals Nationalelf, für die sich Guerreiro später entschied und mit der er im Sommer in seiner Geburtsstadt den EM-Titel gewann, selbst von einem Weltstar emanzipiert: Obwohl Guerreiro erst auf 15 Länderspiele kommt, überlässt ihm Ego-Shooter Cristiano Ronaldo bisweilen die Freistöße.

Zu gut für nur eine Position

„Er ist auf dem besten Weg zum Trainerliebling“, sagt Thomas Tuchel über den wohl wichtigsten BVB-Coup dieses ereignisreichen Transfersommers. Denn Guerreiro ist demütig, aber ehrgeizig, lernbedürftig, aber auffassungsschnell. „Ihm mussten wir die Dinge nicht acht Tage lang erklären“, sagt Guerreiro-Fan Patrice Garande, sein erster Profitrainer beim französischen Zweitligisten SM Caen.

Weil er kaum zu stoppen ist, verdiente er sich früh den Spitznamen „Batterie“ – frei nach dem dauerlaufenden Duracell-Hasen. „Bei seinem ersten Training reichte ein Blick um zu sagen: Hoppla, was ein Talent“, sagt Guerreiro-Fan Fernando Santos, Portugals Nationalcoach. Vor allem ist der Starkstromer ultravielseitig. „Er ist viel zu gut, um auf eine Position festgelegt zu werden“, sagt Guerreiro-Fan Tuchel. Beim BVB war der Allrounder ursprünglich als linker Außenverteidiger vorgesehen: ein Backup für Kapitän Marcel Schmelzer.

Guerreiro lässt Kollegen glänzen

Doch bislang bewies das12-Millionen-Euro-Schnäppchen vom Ligue1-Klub FC Lorient im Mittelfeld einen noch größeren Wert. Drei Treffer und fünf Torvorlagen stehen in Bundesliga und Champions League zu Buche. Noch wichtiger ist, dass an seiner Seite die Kollegen glänzen.

Als so genannter Achter im Schaltzentrum brachte er Mario Götzes und Gonzalo Castros Qualitäten zum Vorschein. Genau diese Kombination fehlte bei den Remis-Rückschlägen gegen Hertha BSC, Ingolstadt. Nur bei der Pleite in Leverkusen enttäuschte auch Guerreiro. Bislang sein einziger schwacher Auftritt.

Höhere Weihen warten

Anpassungsprobleme muss man aber auch Guerreiro zugestehen. Denn bei allem Eifer bewältigt der längst europaweit begehrte Profi einen anspruchsvollen Karriereschritt. Wichtiger für den BVB ist ohnehin die Perspektive: Mit Art und Anspruch bietet sich Guerreiro für höhere Weihen an.

Noch sucht er meist die Nähe der Frankreich-Fraktion um Pierre-Emerick Aubameyang. Hat Guerreiro aber erst die Sprachbarriere überwunden, könnte er Fixpunkt im Team werden und das Hierarchie-Vakuum beim BVB füllen. Jüngere und Gleichaltrige lehnen sich bereits bei ihm an, Routiniers lässt er strahlen. In naher Zukunft könnte Guerreiro so zu einem der Chefs aufsteigen.

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