Der BVB rettet ein Remis gegen Real Madrid, das frühere Westfalenstadion bebt – und doch fühlt sich ein Punktgewinn gegen den Titelverteidiger der Champions League inzwischen fast ein wenig fade an für die ambitionierten Westfalen.
Als sein erstes Heimspiel in der Champions League fast eine Stunde vorbei war, wusste BVB-Coach Thomas Tuchel noch nicht so recht, wie er seine Emotionen einordnen sollte. „Natürlich ist das ein besonderer Abend. Von einer Partie gegen Real Madrid habe ich als Jugendtrainer nicht zu träumen gewagt“, sagte der 43-Jährige nach dem Happy End mit glänzenden Augen. Ein 2:2 (1:1) gegen den Titelverteidiger, nach zwei Rückständen per Schlussspurt einen Punkt gerettet und das frühere Westfalenstadion in Ekstase versetzt – was will man mehr?
Und doch schränkte der Coach ein, die Gefühlswelt sei wohl differenzierter zu betrachten: „Zur Halbzeit hatte ich fast den Eindruck, als wären alle unzufrieden: Nur 1:1 zur Pause, das fühlte sich an wie eine Enttäuschung.“
Tuchel: “Wir können es besser”
Die Ansprüche beim BVB sind eben enorm gewachsen, einen anderen Schluss lässt die Partie gegen die Königlichen nicht zu – und die Aussagen der Akteure schon gar nicht. „Natürlich kann man sich freuen, wenn man gegen Real zwei Mal zurückkommt. Aber wir hatten uns zu Hause mehr vorgenommen“, sagte BVB-Torwart Roman Bürki später stellvertretend. Der deutsche Vizemeister fühlt sich auf Augenhöhe mit den ganz Großen der Branche und war sich wohl sicher, seine sagenhafte Heimserie gegen Real auf vier Siege in Folge ausbauen zu können. „Wir wissen das Ergebnis zu schätzen, aber wir können es besser“, bilanzierte Tuchel trocken.
Zidane: “Normal, hier unter Druck zu geraten”
Dominanter, offensiver Ballbesitzfußball – die Tucheldoktrin soll nicht nur gegen Darmstadt 98 oder Legia Warschau durchgesetzt werden, sondern selbst gegen Europas Geldadel, wie der Tüftler selbst bestätigte: „Wir wollten uns auf diesem Niveau ausprobieren und schauen, ob es uns gelingt, die gleiche hohe Schlagzahl und das gleiche hohe Tempo wie in der Bundesliga zu gehen.” In den ersten 45 Minuten klappte das ganz ordentlich. Stolze 7:3 Torschüsse erarbeiteten sich die Westfalen gegen die Galaktischen. Der BVB gab sich keinerlei Mühe, auf Abwarten zu spielen.
Angetrieben von der Passmaschine Julian Weigl im defensiven und dem Kreativzentrum Gonzalo Castro im offensiven Mittelfeld, machte die Borussia Dampf. Castro prüfte Madrids Keeper Keylor Navas früh mit einem Freistoßkracher (4. Minute). Jungstar Ousmane Dembélé zielte zwei Mal zu hoch (14., 25.) und Abwehrchef Sokratis zwang Navas mit einem Kopfball zu einer seiner zahlreichen Fausteinlagen (34.). „Unter Druck zu geraten ist normal in diesem Stadion“, zollte sogar Gäste-Trainer Zinedine Zidane Lob.
Aubameyang trifft für seinen Opa
Der erste Treffer gelang allerdings seinem Team, das geduldig auf Fehler des vielleicht etwas übermütigen Champions-League-Rückkehrers wartete. Ronaldo ließ sich die Chance zum 0:1 nicht entgehen (17.) und feierte seinen 95. Treffer in der Königsklasse. Für die wenig effiziente Borussia musste ein grober Schnitzer von Navas herhalten, um ins Spiel zurück zu finden. Madrids Keeper faustete einen Freistoß von Raphael Guerreiro genau auf Aubameyang, der sich gegen das Erfolgserlebnis zum 1:1 nicht wehren konnte (43.). Später widmete Dortmunds Stürmerstar den Treffer gegen seinen zweiten Lieblingsklub seinem verstorbenen Großvater. Ihm versprach er einst, irgendwann mal für das Weiße Ballet Real zu spielen.
Viel Arbeit für die Defensive
Nach weiteren guten Chancen zu Beginn des zweiten Durchgangs durch den aufgedrehten Dembélé (51.) und Aubameyang (52.) entglitt dem BVB die Partie. „Da haben wir den Zugriff verloren“, sagte Tuchel und wusste nicht so recht, warum das geschah. Vermutlich, weil Madrid im Stile einer Spitzenmannschaft die Umbruch-Borussia regelrecht abkochte. Es ist ja kein Geheimnis, dass der BVB trotz viel versprechender Ansätze immer noch in der Experimentierphase steckt, auf der Suche nach Laufwegen, Kombinationsspiel, nach Präzision und Abstimmung. Vor allem in der Defensive, die einigen Trainingsbedarf offenbarte. Tuchel nahm‘s sportlich: „Wir haben viel zu lernen aus diesem Spiel.“
Vorschau: Anschnallen vorm Real-Spiel – der Crashtest für die BVB-Abwehr
Real zwingt den BVB zu Fouls
Toni Kroos und Luka Modric zogen beim elfmaligen Königsklassen-Sieger geschickt die Fäden im Mittelfeld, und weil „BBC“ – Gareth Bale, Karim Benzema und Cristiano Ronaldo – sich nicht zu schade waren, zu pressen und Räume zuzustellen, konnte Madrid lässig auf Konter und Gelegenheiten warten. Beim zweiten Real-Treffer reichte ein Sekundenschlaf der BVB-Abwehr: Ein schnell ausgeführter Eckstoß, eine scharfe Ronaldo-Flanke, und schon lag der Ball zum vermeintlichen Siegtreffer durch Verteidiger Raphael Varane im Netz (69). „Danach fühlte es sich lange so an, als ob wir das Spiel nicht mehr drehen könnten“, gab Tuchel unumwunden zu. Sein Team musste plötzlich überraschend viel pumpen, und kassierte im zweiten Durchgang sogar vier gelbe Karten für taktische Fouls – ungewöhnlich für den BVB, der in der Fairness-Tabelle zuletzt stets vordere Plätze belegte.
Die Joker stechen
Dank eines glücklichen Händchens mit den Einwechselungen kam der BVB dann aber doch noch zurück. Eine Flanke von Christian Pulisic, der den müde gespielten Dembélé ablöste, rutschte mit etwas Glück zu André Schürrle durch, der seinen Buddy ersetzte, den an diesem Abend enttäuschenden Mario Götze. Joker Schürrle donnerte den Ball drei Minuten vor Abpfiff unter die Latte des Real-Tores. Damit behauptete Schwarz-Gelb Rang eins in der Gruppe F vor den punktgleichen Spaniern.
Der BVB will hoch hinaus
Vor allem aber hielt Dortmund seine Ambitionen hoch. Hans-Joachim Watzke träumt ja ohnehin schon länger von internationalen Märkten und einem festen Platz im Konzert der Großen. Der BVB-Chef unterstrich noch einmal das eigene Selbstverständnis: “Dieses Spiel hat bewiesen, was vorher schon klar war: dass wir mit Real Madrid mithalten können.”
Seine Angestellten scheinen die ehrgeizige Zielsetzung verinnerlicht zu haben. Trainer Tuchel jedenfalls wirkte fast ein wenig pikiert, als er ganz am Ende der Pressekonferenz gefragt wurde, ob der BVB nach der jüngsten Ehrenrunde in der Europa League nun wieder dort angekommen sei, wo er sich zugehörig fühle: in der absoluten Elite. „Ich hatte schon in der letzten Saison in den Spielen gegen Porto, Tottenham und Liverpool den Eindruck, dass uns nicht so viel fehlt zur europäischen Spitze.“