Rein sportlich gesehen sollte das Europa-League-Duell mit dem FC Liverpool eine klare Sache zugunsten des BVB sein. Wenn da nicht Jürgen Klopp wäre. Dortmunds Darling greift bei der Rückkehr in die alte Heimat tief in die Trickkiste.
(*Dieser Artikel lief am 7.4.2016 bei zdfsport.de und heute.de*)
Für alle Fälle haben sie ihm ein Schild in die Katakomben des früheren Westfalenstadions gestellt: “Jürgen Klopp – Dressing Room.” Damit sich die BVB-Ikone beim Comeback an alter Wirkungsstätte nicht in die falsche Umkleidekabine verirrt.
Mit einem Smiley ist dieser Hinweis für den Coach des FC Liverpool versehen. Eine nette Geste für den geschätzten Gast, aber nicht ganz uneigennützig. Denn allzu viel Nähe würde die Dortmunder Borussia heute Abend beim ersten Showdown mit dem Ex gerne vermeiden.
“Besser als in Nordkorea”
Finanziell lukrativ, sportlich machbar – das ist eigentlich die Quintessenz des Duells gegen den Neunten der englischen Premier League. Die emotionale Ebene bietet deutlich mehr Unwägbarkeiten. Dortmund hat viel Respekt vorm fleischgewordenen Ablenkungsmanöver Jürgen Klopp. Vermutlich zurecht.
Schon bei der letzten Pressekonferenz vorm Hinspiel des Viertelfinales zog der frühere BVB-Erwecker sein angestammtes Publikum wieder in den Bann. Der Medienraum platzte aus allen Nähten, vorsorglich hatte die UEFA um ein Absperrband vorm Podium gebeten. “Es ist besser hier zu sein als in Nordkorea”, war nur der Auftakt einer One-Man-Show, wie nur Entertainer Klopp sie bieten kann.
Parallelen zu den BVB-Jahren
Der Coach hat registriert, wie weit sich der souveräne Tabellenzweite der Bundesliga seit jener Seuchensaison 2014/15 entwickelt hat, die ihm letztlich den Job kostete. Auf seiner neuen Station in Nordengland befindet er sich immer noch irgendwie in den Startlöchern. Da kann es nicht schaden, den Gegner groß und sich selbst klein zu reden. Genüsslich bürdet der emigrierte Meistertrainer dem BVB auf, Kandidat fürs Triple zu sein, Favorit auf die Europa League sowieso. Für das eigene Team reklamierte er die Außenseiterrolle.
Ganz wie früher, als er alle Topklubs “auf unser Niveau runterziehen” wollte, um eine Chance zu haben. Die eigene Erfolgsgeschichte nutzt er als Motivation: “Dortmunds Weg hat damals auch damit angefangen, Favoriten zu schlagen.” Weil der erneute Weg nach Europa über die Liga schwierig ist, wird der traditionsreiche Liverpool Football Club die Aufgabe BVB auch sicher nicht so schlampig angehen wie zuletzt Englands Titelaspirant Tottenham Hotspur.
Comeback-Hype – ein Selbstläufer
Zur Not muss Grundlegendes helfen. Im Abschlusstraining übten die Reds ganz britisch noch einmal Standards – vermeintlich die einfachste Lösung, um die seit Jahresbeginn stabilisierte BVB-Abwehr zu überwinden. In Sturridge hat Liverpool einen klasse Stürmer, in Coutinho und Firmino zwei kreative Gestalter, und die Qualität von Reds-Captain Jordan Henderson wissen seit der jüngsten Länderspielpleite gegen England auch deutsche Fans zu schätzen. Trotzdem ist Klopp wohl zurecht skeptisch, Dortmund dominieren zu können. Dafür bietet die Auswärtspartie alles, um mit seinem Markenzeichen Überfallfußball zu reüssieren. Auch in der Premier League war das einige Male die Stärke des LFC.
Da schadet es nicht, dass Klopp zuvor alle Aufmerksamkeit auf sich und weg vom Team lenkt. Schon vor einer Woche hatte er die Presse an die Mersey-Mündung geladen. Dass nun seine Rückkehr zum Hype auswächst – ein Selbstläufer: ein Doppelpass-Extra beim Europa-League-Sender, Comeback-Ticker, Flughafenfotos, 270 akkreditierte Journalisten, ein proppenvoller Pressesaal mit Blitzlichtgewitter – darauf konnte sich der Medienliebling verlassen. “Meine Güte, seid ihr geisteskrank?” Diese Begrüßung ist natürlich auch eitle Selbstbestätigung. Klopp weiß genau, er zieht mehr als Wolfsburg gegen Real Madrid in der Königsklasse oder München gegen den verblassten Glanz von Benfica Lissabon.
Klopp in ungewohnter Pose?
Der Menschenfänger bei der Arbeit. Genau das hatte Hans-Joachim Watzke vor Tagen als Gefahr erkannt. Dass sich alle von der schönen Erinnerung einlullen lassen: Die Fans, die Klopp so viele Glücksmomente verdanken; die Spieler, denen er Karrieren ermöglichte. BVB-Chef Watzke aber will, dass sein Klub diese außergewöhnliche Saison unter dem ebenso außergewöhnlichen Klopp-Nachfolger Thomas Tuchel mit einem Titel beendet.
Am besten mit dem noch fehlenden Europapokal. Dazu wäre ein Viertelfinalerfolg ein nötiger Schritt, auch wenn er den alten Weggefährten in ungewohnter Pose zurückließe: “Über ein Dortmunder Tor werde ich mit Sicherheit nicht jubeln”, kündigte Klopp an – als ob es zur Diskussion stünde. Dass er dafür kein Hinweisschild benötigt, wissen sie in Dortmund.