Die vermeintliche Wachablösung gerät ins Wanken: Während Vizemeister VfL Wolfsburg vorm Topspiel mit Problemen kämpft, ist Comeback-Künstler Borussia Dortmund überraschend schnell wieder zur Nummer zwei im deutschen Fußball aufgerückt.
(*Dieser Artikel lief am 5.12.2015 bei zdfsport.de*)
Den Dezember 2014 würden die Fans von Borussia Dortmund sicher gerne aus ihrer Erinnerung streichen. Fast genau vor einem Jahr traf der BVB ebenfalls auf den VfL Wolfsburg, Naldos später Gegentreffer raubte den Westfalen in einem ihrer besseren Spiele jener Seuchensaison den Sieg.
Und damit jäh die Hoffnung auf eine Trendwende: Während sich die Wölfe damals gemütlich auf Rang zwei einrichteten, verabschiedete sich der BVB wenige Tage später auf einem Abstiegsplatz in die Winterpause. Die Ahnung eines schmerzhaften und langfristigen Umbruchs lag in der Luft.
Neues Kräfteverhältnis? Von wegen
„Die letzten Begegnungen mit dem VfL Wolfsburg sind nicht so positiv für uns gelaufen. Deshalb haben wir einen besonderen Ehrgeiz“, kündigte BVB-Sportdirektor Michael Zorc vorm aktuellen Duell mit den Niedersachsen im „kicker“ an. Das unglückliche Remis des vergangenen Jahres ist in Dortmund nicht vergessen, ebenso wenig die Niederlage im Rückspiel.
Und schon gar nicht die Pleite im DFB-Pokalfinale, das doch als versöhnlicher Abschluss der Ära Klopp in die Geschichte eingehen sollte. Stattdessen deuteten Experten das Spiel als Beweis für das neue Kräfteverhältnis im deutschen Fußball: Wolfsburg würde auch auf Sicht stärkster Herausforderer des FC Bayern.
Dortmund könnte Rang zwei zementieren
Einen solchen muss die Liga angesichts der Münchner Übermacht wohl länger suchen, und als zweite Kraft steht im vermeintlich holprigen Jahr des Übergangs plötzlich wieder die Borussia da.
Der Wechsel von Trainer-Ikone Jürgen Klopp zu Thomas Tuchel und vom letztlich kollabierten System des Überfallfußballs hin zur stabileren Variante mit mehr Ballbesitz hat deutlich besser funktioniert, als selbst die kühnsten Optimisten dachten. Mit einem Erfolg im Topspiel könnte der BVB die Spitze der Ohne-Bayern-Tabelle mit zehn Punkten Vorsprung vor Wolfsburg zementieren.
Aubameyang schlägt die VfL-Offensive
Das Selbstvertrauen bei den Westfalen ist zurück, auch die Sicherheit des Kombinationsspiels, die um einen geduldigeren Aufbau erweitert wurde. Allein die Abwehr bleibt extrem anfällig, sie hat nur zwei Tore weniger (!) zugelassen als zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison.
Dass sich die beiden etatmäßigen Innenverteidiger Sokratis und Mats Hummels krank gemeldet haben und wohl auch Julian Weigl als Abräumer im defensiven Mittelfeld ausfallen wird, macht die Aufgabe in Wolfsburg nicht leichter. Bislang hat der BVB seine Probleme im Rückwärtsgang aber fast immer oft mit attraktivem Offensivwirbel überkompensiert. Satte 40 Treffer stehen in der Liga zu Buche. Pierre-Emerick Aubameyang alleine erzielte mit bislang 17 Treffern nur sechs weniger als alle Wölfe zusammen.
Wolfsburg hat den De-Bruyne-Blues
Dieser Punch ist Wolfsburg abhanden gekommen und natürlich hängt das mit dem Abschied von Kevin De Bruyne zusammen. Ohne ihn reiht sich der Vizemeister mit Dortmund bei all jenen Normalo-Klubs ein, die Pep Guardiolas Superbayern kein Paroli bieten können. Mit ihm war es anders, zumindest im direkten Duell: Etwa beim denkwürdigen 4:1 zum Auftakt der vergangenen Rückrunde oder beim Gewinn des Supercups im Sommer.
Seit dem Wechsel des Spielmachers zu Manchester City setzte es dagegen eine 1:5-Demütigung in der Liga und eine nicht minder herbe 1:3-Heimpleite des entthronten Titelverteidigers in der 2. DFB-Pokalrunde. Zwar spielt Wolfsburg insgesamt keine schlechte Saison. Das Team hält in der Liga Kurs auf die erneute Qualifikation zur Champions League und ließ zuhause nur im Derby gegen Hannover einen Punkt liegen. Zudem könnte der Klub am kommenden Dienstag erstmals ins Achtelfinale der Königsklasse einziehen.
Schürrle und Co. mit Luft nach oben
Trotzdem läuft nicht alles rund. Die Ansprüche sind höher. Das zeigt schon die kurze Zündschnur der Verantwortlichen. Bei den Pleiten in Gladbach und Mainz rasselte der sonst besonnene Trainer Dieter Hecking mit den Schiedsrichtern zusammen. Wiederholt kritisierte Sportdirektor Klaus Allofs öffentlich die Spieler.
Vor allem auswärts wird De Bruynes feiner Zauber vermisst, der vergangene Spielzeit mit 10 Treffern und 21 Torvorlagen so traumhaft die Offensive trug. Heute entzündet sich Kritik oft am unbeständigen Auftritt von Weltmeister André Schürrle. Aber auch Julian Draxler, Max Kruse oder der gegen Dortmund Gelb-Rot gesperrte Dante haben noch Anlaufprobleme.
Der lange Arm der VW-Affäre
Schwierigkeiten, die sich in den Griff bekommen lassen. Nicht abzuschätzen dagegen ist, welche Auswirkung die Volkswagen-Affäre auf den Fußballstandort Wolfsburg haben könnte. Bislang hat die VfL-Mutter nur das geplante Nachwuchs-Leistungszentrum auf Eis gelegt. Aber sollte VW wirklich zu einer Strafe in zweistelliger Milliardenhöhe verdonnert werden, schränkt das sicher auch den Spielraum des bislang üppig alimentierten Werksklubs ein.
Der börsennotierte BVB hingegen bewies erst im November bei der Vorlage neuer Quartalszahlen, dass er selbst mit der weniger lukrativen Europa League das Gefühl eines schmerzhaften Umbruchs vertreiben kann.