Unspektakulär, aber doch souverän hat sich Roman Bürki als Nummer eins im Tor von Borussia Dortmund etabliert. Kleinere Rückschläge nimmt ihm keiner übel, denn beim BVB sind sie sicher: Der Wow-Effekt kommt noch.*
Es ist sein lieb gewonnenes Ritual vor jedem Spiel: Roman Bürki kickt seinen Kaugummi über die eigene Torlinie und sagt sich: “Das ist das einzige, was heute reingeht.” Vor Borussia Dortmunds Gastspiel beim Hamburger SV hat das fünf Mal in dieser Saison geklappt, da blieb der Keeper in der Bundesliga und im DFB-Pokal ohne Gegentor.
Bei 14 Pflichtspielen eine ordentliche Quote. Aber sicher auch eine, die der 25-Jährige deutlich ausbauen will. Denn der Schweizer ist extrem lernwillig und hat ehrgeizige Ziele.
Der nächste Schritt
“Im Training musst du fast das Licht ausschalten, damit er aufhört. Er will sich immer verbessern und weiter arbeiten. Er ist ein Glücksfall für jeden Trainer”, sagt Patrick Foletti, der die Torhüter der Schweizer Nationalmannschaft ausbildet. Dortmunds Trainer Thomas Tuchel wird das sofort unterschreiben, sonst hätte er Bürki nicht zu Saisonbeginn zum Stammkeeper befördert. Anstelle der BVB-Ikone Roman Weidenfeller.
Fleißige Sonderschichten des Modellathleten Bürki haben bei der Entscheidungsfindung vermutlich ebenso wenig geschadet wie sein gesundes Selbstvertrauen. Schon in in der Vorbereitung hatte der 3,5-Millionen-Euro-Neuzugang vom SC Freiburg mutig verkündet: “Ich will auf dem höchsten Level spielen und bin immer bereit für den nächsten Schritt.”
Kein Problem mit Weidenfeller
Dank seiner offenen Art ist Bürki schnell angekommen bei Schwarz-Gelb. Die Fans mögen die Zuverlässigkeit ihrer Nummer 38. Aber auch, dass er sich via Twitter für ein Gegentor selbst auf die Schippe nehmen kann oder seine Vorderleute hemdsärmelig in die vergessenen Ecken des früheren Westfalenstadions zum Klatschen schickt.
Im Team ist er seit dem ersten Tag integriert. Selbst Konkurrent Weidenfeller und er verstehen sich vorbildlich. Bürki gönnt dem Routinier den Teilzeitjob Europa League und schaut sich Tricks fürs eigene Portfolio ab: “Von Roman kann ich viel lernen”, sagt der Musterschüler demütig. Etwa in der Strafraumbeherrschung oder im Duell Eins gegen Eins.
Kalkuliertes Risiko
Bürkis Beitrag zum BVB-Aufschwung ist mit Zahlen bislang schwer zu greifen. Aber ohne seine Ballsicherheit wäre die dringend nötige Evolution des Überfallfußballs hin zur Ballbesitzvariante viel schwieriger. Bürki kann Rückpässe mit beiden Füßen verarbeiten und Bälle auch unter Druck präzise an den Mann bringen. Das ermöglicht den Westfalen, ihr nun geduldigeres Aufbauspiel wenn nötig tiefer anzulegen, oder die Spieleröffnung von der letzten Position zu starten.
Wie sein Vorbild Manuel Neuer agiert Bürki oft als elfter Feldspieler. Das ist ein Risiko, wie beim Slapstick-Gegentor im Pokal gegen Paderborn zu sehen, aber ein kalkuliertes. Denn es schafft letztlich die Grundlage, die zentralen Abwehrspieler breiter, und die Außenverteidiger extrem hoch zu stellen. Die Tormaschine des Tabellenzweiten dankt die mutige Ausrichtung mit bislang 35 Liga-Treffern.
Nationalelfkarriere nimmt Fahrt auf
Dagegen sind 15 Gegentore der Dortmunder Abwehr verbesserungswürdig. Das weiß auch Bürki, zur Not schmiert es ihm sein Vater bei der regelmäßigen Spielanalyse per Telefon aufs Brot. Allein fünf der Treffer kassierte Roman beim FC Bayern, zwei davon gingen auf sein Konto. Kleine Rückschläge, die aber normal sind und bei den Westfalen keiner übel nimmt, solange eine Lernkurve erkennbar bleibt. Die Nervosität, die Bürki in München zeigte, wird sich allein durch die Auftritte in Dortmunds großer Fußball-Oper bald legen.
Für die anderen Partien wird er den Fokus anpassen: Während Bürki früher unter Dauerdruck im Minutentakt glänzte, heißt es im Tor eines Topteams häufiger: abwarten, hellwach bleiben. “Das ist der nächste Schritt, den Roman machen muss”, sagt Lehrmeister Foletti nicht ganz uneigennützig. Denn auch in der Schweizer “Nati” nimmt Bürki Fahrt auf: Nach dem Pflichtspieldebüt Anfang Oktober gegen San Marino macht sich der Bankdrücker der WM 2014 nun Hoffnung auf Einsätze bei der EM in Frankreich.
Den Derbysieg gerettet
Dass er im Übrigen auch die Heldenrolle weiter drauf hat wie in Freiburg, wo er trotz Abstiegs neun Mal unbezwungen blieb, zeigte Bürki im bisher fast reibungslosen Saisonverlauf doppelt: In Mainz und zuletzt im Revierderby gegen Schalke rettete er mit tollen Reflexen den Sieg. Dass genau dieser Wow-Effekt bald viel öfter zu bestaunen ist, davon sind sie in Dortmund überzeugt. Und davon, dass noch mehr Kaugummis die Torlinie des BVB passieren und nichts sonst.
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*Dieser Artikel lief vom 18. bis 21. November bei zdfsport.de. zum Artikel