Der frühere Bundesliga-Spieler will Präsident des Fußballverbandes seiner Heimat werden. Kobiashvili setzt auf Aufbruchstimmung und erhofft sich größere Nähe zu Europa.
Für Levan Kobiashvili ist es gerade die vielleicht stressigste Zeit seiner Karriere, aber auch eine sehr schöne. Vor dem EM-Qualifikationsspiel Georgiens gegen Weltmeister Deutschland ist der 37-Jährige auf Stippvisite in der Heimat und eilt von Termin zu Termin. „Ich gebe gerade mehr Interviews als in meiner gesamten Zeit als Profi“, sagt der frühere Bundesliga-Spieler mit einem Augenzwinkern.
Er nimmt sich gerne die Zeit für ein Treffen nahe des Freiheitsplatzes in der Hauptstadt Tiflis. Mit 351 Bundesligaspielen auf dem Buckel ist er ein gefragter Ansprechpartner, als Rekordnationalspieler seines Landes sowieso. Im Herbst könnte noch ein weiteres wichtiges Merkmal hinzukommen: Kobiashvili will tatsächlich Präsident des georgischen Fußballverbandes werden.
Geld für Auswärtsfahrten fehlt
Zu verändern gibt es genug im Fußball seiner Heimat. Denn während Kobiashvili 16 Jahre lang fort war und beim SC Freiburg, dem FC Schalke und bei Hertha BSC eine eindrucksvolle Karriere hinlegte, hat sich sein Sport in Georgien zurückentwickelt. Dass die Nationalelf auf Rang 126 der FIFA-Weltrangliste abstürzte ist nur das deutlichste Zeichen. „Die Liga ist das große Problem“, sagt Kobiashvili. Dort muss der Hebel angesetzt werden. Zurzeit verfügen die Klubs über keine nennenswerte Einnahmen. TV-Übertragungen sind selten und wenig lukrativ, auch der Ticketverkauf bringt nicht viel Geld. „Der Zuschauerschnitt hier ist lächerlich. Da sind ja bei einem Training des FC Schalke fast mehr Fans“, sagt der 100-malige georgische Auswahlspieler und lacht. Aktuell seien die Finanzprobleme so groß, dass zwei Teams nicht einmal das Geld für Auswärtsfahrten zusammenbekämen.
Ein breitere Basis muss her
Lediglich sein früherer Klub Dinamo Tiflis bilde da eine Ausnahme, weil der Klub einen milliardenschweren Unternehmer im Hintergrund hat. Georgiens Vorzeigeklub leistet sich weiter eine umfangreiche Jugendarbeit. Um ein Ausrufezeichen in Europa zu setzen, reicht es aber auch für den Serienmeister seit langer Zeit nicht mehr. Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991 hat sich der Klub nicht für einen europäischen Wettbewerb qualifiziert. Der Konkurrenzkampf zuhause ist zu wenig herausfordernd und hält den stolzen Europapokalsieger der Pokalsieger von 1981 sportlich am Boden. Sollte Kobiashvili wirklich Verbands-Präsident werden, dürfte das Hauptaugenmerk darauf liegen, alle Klubs zu stärken und die Nachwuchsarbeit auf eine breitere Basis zu stellen.
Kobiashvili hat sich einiges vorgenommen
An Aufbruchstimmung mangelt es jedenfalls nicht, dazu muss man sich nur in der Hauptstadt umschauen. Es wird an allen Ecken und Enden gewerkelt wird. „Was hier in Tiflis seit einigen Jahren passiert, ist wirklich sehr positiv“, sagt Kobiashvili, der im Sommer seinen Job in der Jugendakademie bei Hertha BSC aufgeben wird und fest in die Heimat zurückgehen will. Um den Wahlkampf vorzubereiten, Konzepte auszuarbeiten und sein Netzwerk zu stärken, dass nach eigener Aussage schon jetzt ordentlich ist. Sein früherer Nationalmannschaftskollege Kacha Kaladse etwa hat es für die aktuelle Regierungspartei Georgischer Traum 2012 bis zum Energieminister gebracht. Kobiashvili hat sich einiges vorgenommen und wirkt sehr entschieden.
Der Blick geht nach Europa
Einen Schatten auf den Aufwärtstrend in Georgien wirft die politische Lage der Region. Vergleiche mit der Ukraine sind nicht von der Hand zu weisen. Seit dem Kaukasus-Krieg 2008 sind die Landesteile Südossetien und Abchasien de facto vom großen Nachbarn besetzt: „Das russische Militär steht 60 Kilometer von Tiflis entfernt. Wenn die wollen, können die jeden Tag hier einmarschieren“, gibt Kobiashvili zu bedenken. Wladimir Putins Traum von Neurussland, von der Auferstehung der alten Sowjetunion, hängt drohend über Georgien wie über der Ost-Ukraine. Für Kobiashvili und die meisten seiner 4,5 Millionen Landsleute geht der Blick längst nach Westen. „Neunzig Prozent der Georgier wollen nach Europa, in die EU und in die NATO“, berichtet Kobiashvili. Dass der deutsche Bundestag gerade diese Woche das Assoziierungsabkommen mit Georgien, der Ukraine und Moldau auf den Weg gebracht hat, macht die Menschen jedenfalls sehr froh. Schon am Flughafen in Tiflis werden die Gäste mit entsprechenden Plakaten begrüßt.
Im August blickt die Fußballwelt erneut nach Tiflis
Das aktuelle Spiel in der EM-Qualifikation ist daher eine perfekte Gelegenheit für Georgien, von der östlichen Peripherie in den Fokus zu rücken, wenn auch nur kurz. „Wir sind gute Gastgeber. Das ist für uns das Spiel des Jahres“, so Kobiashvili. Auf den Tag zwanzig Jahre nach dem ersten Duell mit Deutschland, einer 0:2-Heimniederlage in Tiflis gegen den späteren Europameister, will der Außenseiter den Favoriten ein wenig ärgern. „Wir können als Gegner ungemütlich sein“, sagt der frühere Allrounder, der im Mittelfeld und auf der linken Abwehrseite zuhause war und es immerhin auf 32 Bundesliga-Tore brachte.
Unter dem neuen Nationaltrainer Kachaber Zchadadse, der am vergangenen Mittwoch mit einem 2:0-Sieg über Malta einen ordentlichen Einstand feierte, soll es mittelfristig wieder bergauf gehen. Sture Defensivtaktik werde es nicht mehr geben, selbst gegen große Gegner. „Er lässt den Spielern Freiheiten und steht für Offensivfußball.“ Direkt nach dem Duell mit dem Weltmeister ist dann auch architektonisch Aufbruch angesagt. Das Boris-Paitschadse Nationalstadion soll für 30 Millionen Euro runderneuert werden: Am 11. August ist die UEFA mit dem europäischen Supercup zu Gast, dem Spiel des Champions-League-Siegers gegen den Gewinner der Europa League. Dann steht Georgien für einen weiteren Abend im Mittelpunkt der europäischen Fußballwelt, sehr zu Kobiashvilis Freude.