Dortmunds Notelf läuft auf der Felge zum “Maximalziel”

Mit Sahin und Co. knapp zu Rang eins: Im Gruppenfinale der Champions League gegen den RSC Anderlecht feiern gleich drei Dortmunder Sorgenkinder ihr Comeback.

Über die Art und Weise, wie Borussia Dortmund seine Sorgenkinder ins Team integriert, lässt sich vermutlich die gesamte Hinrunde des Klubs definieren. Während anderswo die Langzeitverletzten behutsam an den Wettbewerb herangeführt werden, müssen die taumelnden Schwarz-Gelben ihre Helden stets ins kalte Wasser werfen.

Das war bei Ilkay Gündogan so, als er vor einigen Wochen nach über einem Jahr Zwangspause direkt in der Bundesliga-Startelf gebraucht wurde. Und im letzten Gruppenspiel der Champions League war das nun nicht anders: Nuri Sahin etwa feierte beim 1:1 gegen den RSC Anderlecht sein Saisondebüt und musste in der wild durcheinander gewirbelten Dortmunder Notelf gleich 90 Minuten durchhalten.

Team bleibt trotz Umstellungen in der Spur
“Morgen wird bestimmt ein Scheißtag”, sagte Sahin nach der beeindruckenden Energieleistung – ebenso glücklich wie fix und fertig: “Ich habe Fußball so vermisst.” Sieben Monate stand das Dortmunder Urgestein nicht in einem Pflichtspiel auf dem Platz, doch weil der BVB kurz vor der Partie in der Königsklasse in Mats Hummels und Lukasz Piszczek erneut zwei prominente Ausfälle zu beklagen hatte, musste der Mittelfeldstratege plötzlich helfen, gegen die Belgier Rang eins in der Gruppe D zu sichern.

Mit Erfolg, denn trotz des späten Ausgleichs durch Aleksandar Mitrovic (84.) qualifizierte sich Borussia Dortmund zum dritten Mal in Folge als Gruppenspieger für das Achtelfinale der Königsklasse. “Maximalziel erreicht, alles gut”, bilanzierte Klopp später zufrieden, obwohl nur ein Remis heraussprang, das viele Wünsche offen ließ. Die Quintessenz für den BVB-Trainer für die kommenden Aufgaben war aber: “Trotz aller Umstellungen ist die Mannschaft in der Spur geblieben.”

Klopp: “Uns sind die Kräfte ausgegangen”
Dass sich der BVB zu einer weiteren Gala wie in den ersten vier Partien der Champions League aufschwingen würde, war nach den turbulenten letzten Wochen aber auch nicht zu erwarten. “Die Mannschaft musste beißen”, erklärte Klopp und entschuldigte damit auch die deutlichen Unsicherheiten in der Defensive sowie die mangelnde Chancenverwertung im Spiel nach vorn.

Im Vergleich zum jüngsten Liga-Sieg über Hoffenheim hatte er sein Team gleich auf sechs Positionen verändert. In der Abwehr rückten Erik Durm und Matthias Ginter zurück in die Startelf, Kevin Großkreutz und Shinji Kagawa halfen mit Sahin in der Schaltzentrale aus, im Sturm bekam Ciro Immobile eine neue Chance. Und nach Sebastian Kehls Rippenprellung musste Gündogan vom offensiven zurück ins defensive Mittelfeld. Zum Ende der Partie warf Klopp dann sogar noch Oliver Kirch und Jakub Blaszczykowski für einige Minuten ins Geschehen – auch diese beiden seit Ewigkeiten ohne Spielpraxis. “Hintenraus sind uns die Kräfte ausgegangen”, erklärte der Coach.

Klopp bittet um Geduld bei Mchitarjan
Für alle Freunde der Borussia war das erfolgreiche Comeback des Trios aus dem BVB-Lazarett immerhin ein Lichtblick. Genau wie der neuerlich starke Auftritt Gündogans. In einigen Szenen erinnerte der Spielgestalter schon wieder an seine Glanzzeiten. Immer wieder gelangen ihm tolle Pässe, die das Spielfeld öffneten. Wenn seine Teamkollegen die Geniestreiche besser umgesetzt hätten, wäre der BVB locker mit dem fünften Sieg im sechsten Spiel der Vorrunde vom Platz gegangen.

Alleine Henrich Mchitarjan besaß vier Riesenchancen. Doch der Armenier hat fußballerisch die Seuche. Wie in der 82. Minute, als er ein sensationelles Solo nicht mit dem Treffer krönen konnte. “Das haut ihm natürlich ins Gebälk”, nahm Klopp seinen ebenso eifrigen wie glücklosen Antreiber in Schutz und kündigte an: “Wir müssen ihm jetzt helfen.” Denn langsam beginnt auch das geduldige BVB-Publikum die Geduld zu verlieren mit dem Hochbegabten, der sich so viele Möglichkeiten erspielt wie kaum ein anderer offensiver Mittelfeldspieler in Europa. “Wir brauchen ihn wie das Wasser”, sagte Klopp und bat um Zeit: “Der Tag wird kommen, da geht bei Miki der Knopf auf und er trifft zwei, drei Mal in einen Spiel.”

Immobile in allerbester Stürmer-Manier
Nur einen Treffer, aber immerhin schon seinen vierten in der Champions League erzielte dagegen Ciro Immobile gegen Anderlecht. Der oft kritisierte Stürmer erwacht in der Königsklasse regelmäßig zum Leben. Auch gegen die frechen Belgier, die sich als Gruppendritter hinter dem FC Arsenal mit dem Einzug in die Europa League trösten konnten, verdiente er sich sein Erfolgserlebnis. “Er ist ein Kämpfer”, lobte Klopp seine einzige Sturmspitze.

Bereits im ersten Durchgang erarbeitete sich Immobile drei gute Chancen, ehe er in der 58. Minute nach Sahins perfektem Pass in allerbester Stürmer-Manier zur zwischenzeitlichen Führung abschloss. “Das Tor hat mir sehr gut getan”, sagte der 24-Jährige, der beim BVB noch auf den Durchbruch wartet. Wie seine Kollegen blickte Immobile nach dem Spiel aber bereits nach vorne und wünschte sich aus den kommenden Ligapartien möglichst viele Punkte. “Dann können wir alle etwas entspannter Weihnachten feiern.”

Die nächsten Sorgenkinder kommen zurück
Beim nächsten Spiel in Berlin ist jedenfalls personell wieder etwas Entspannung angesagt. Die Rückkehr von Außenverteidiger Piszczek ist “auf keinen Fall gefährdet”, wie Klopp verriet. Bei den Rückenproblemen von Kapitän Hummels geht der Trainer davon aus, “dass wir das hinbekommen”. Und auch Antreiber Kehl wird trotz Pferdekuss und Rippenprellung alles versuchen, für den Liga-Endspurt fit zu sein. Dann könnte der BVB mit etwas Verzögerung versuchen, was er sich eigentlich schon für Anderlecht vorgenommen hatte: Nämlich sich mit der vermeintlich besten Mannschaft endlich mehr Sicherheit zu erarbeiten.

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