Mitten in der schwersten sportlichen Krise degradiert Dortmunds Trainer seine Nummer eins im Tor und mischt die Mannschaft munter durch. Mit Erfolg – aber auch mit einer schwer abzuschätzenden Folge.
Nachdem der Befreiungsschlag in der Bundesliga gelungen war, geriet bei Jürgen Klopp im Eifer des Gefechts ein bisschen was durcheinander. Konsequent verwechselte der Trainer von Borussia Dortmund den Gäste-Keeper Oliver Baumann mit einer früheren BVB-Größe. “Ich sage schon den ganzen Abend Lehmann, oder?”, gab Klopp dann zu, als er in der Pressekonferenz auf seinen Versprecher hingewiesen worden war.
Das kann schon mal passieren, wenn man in der schlimmsten sportlichen Krise knapp die Kurve kriegt und die Erleichterung einfach raus muss. Zumal Klopp unmittelbar vor dem 1:0-Sieg über die TSG 1899 Hoffenheim die eigenen Torhüter durcheinandergewirbelt hatte. Dass Weltmeister Roman Weidenfeller überraschend auf der Bank landete, war allerdings eine höchst bewusste Entscheidung des Trainers und hatte nun gar nichts mir einem Versehen zu tun.
Noch keine Entscheidung über die künftige Nummer eins
“Das war ein Bauchgefühl, nicht mehr und nicht weniger”, erklärte Klopp, warum er sich überraschend für den Australier Mitch Langerak im Tor entschieden hatte. “Mitch war heute einfach mal dran. Ich wollte seine Frische und seinen Spaß im Spiel haben”, so der Coach, der sich seinerseits darüber freuen durfte, mit seinem Team nach dem vierten Saisonsieg zumindest vorläufig den letzten Tabellenplatz verlassen zu dürfen.
Wer allerdings künftig die Nummer eins im Team des abgestürzten Vizemeisters sein soll, darauf wollte sich Klopp ganz und gar nicht festlegen. “Darüber habe ich mir überhaupt noch keine Gedanken gemacht“, sagte der 47-Jährige. Sprich: Mindestens bis zum nächsten Spiel haben die Schwarz-Gelben eine Torhüter-Diskussion am Hals.
Keine Möglichkeit, sich auszuzeichnen
Immerhin bleibt dem BVB nach dem Heimsieg weiteres Krisengerede erspart – und Klopp zunächst die Frage über Sinn und Zweck seiner gewagten Personalrochade. Wäre das Experiment gescheitert, hätte Klopp gleich beide Keeper beschädigt. Rein sportlich machte der Wechsel von Weidenfeller, der seinem Ersatzmann vor dem Spiel sogar fair Glück wünschte, auf Langerak keinen Unterschied. Trotz des jüngsten Weidenfeller-Patzers bei der Pleite in Frankfurt sind die beiden Kontrahenten leistungsmäßig keine Welten voneinander entfernt. Vermutlich war es eher das größtmögliche Zeichen an die zuletzt blutleer auftretende Mannschaft, dass sich niemand zu sicher sein sollte angesichts der prekären Lage.
Gegen die erschreckend harmlosen Hoffenheimer hatte Langerak jedenfalls kaum Gelegenheit sich auszuzeichnen. Die einzige Chance der Kraichgauer direkt nach Anpfiff der zweiten Hälfte entschärfte Mats Hummels. Den tollen Freistoß von Sebastian Rudy klärte der schmerzlich vermisste Abwehrchef unmittelbar vor der Linie.
Hummels strahlt Sicherheit aus
Vielleicht darf sich Langerak aber die verbesserte Kommunikation zwischen Torhüter und Verteidigung bei dieser Aktion zugute halten. “Ich habe mit Mitch ausgemacht, dass er in der Torwartecke bleibt”, erklärte Hummels die ungewöhnliche, aber effektive Arbeitsteilung. Auch seine Qualitäten als Feldspieler stellte der 26-jährige Kronprinz unter Beweis, als er unter dem Druck eines missratenen Rückpasses TSG-Stürmer Sven Schipplock in bester Manuel-Neuer-Manier lässig austanzte. Das war es aber auch schon mit der Hoffenheimer Herrlichkeit.
Die anderen Wechsel beim BVB waren auf dem Rasen viel bedeutender für den heiß ersehnten Erfolg vor 80.000 enthusiastischen Fans: Mit dem Comeback von Kapitän Hummels fand die Defensive prompt zu mehr Ruhe. “Er ist unglaublich stark, er hat auch seinem Nebenmann Neven Subotic mehr Sicherheit gegeben”, analysierte Gäste-Trainer Markus Gisdol treffend. Linksverteidiger Marcel Schmelzer machte seine Sache ebenfalls ordentlich, er stand zumindest nach hinten sicherer als zuletzt Erik Durm.
Gisdol ein wenig an den BVB von früher erinnert
Vor allem aber die Variante, Ilkay Gündogan statt Shinji Kagawa im offensiven Mittelfeld zu bringen, entpuppte sich als Glücksgriff. Nicht nur, weil dem Pechvogel der vergangenen Monate mit seinem Kopfball zum 1:0 in der 17. Minute der Siegtreffer gelang – es war im Übrigen auch Gündogans erstes Bundesliga-Tor seit dem April 2013. Da der Spielgestalter aber auch weiter vorne agierte als sonst, konnte sich die Doppelsechs Sven Bender und Sebastian Kehl auf ihr Kerngeschäft der Absicherung konzentrieren.
Gündogan seinerseits hatte viel Platz und Ruhe, um Bälle in die Spitze zu spielen. Mit einer Passquote von 85 Prozent lag er weit über dem Teamdurchschnitt. Immer wieder trieb er den BVB nach vorne und hatte außerdem Luft für neunzig Minuten. Erst in der Nachspielzeit ging er vom Platz – auch um den verdienten Applaus für ein Spiel zu ernten, dass aus Dortmunder Sicht Hoffnung macht. Nicht nur Hoffenheim-Coach Gisdol fühlte sich angesichts der offensiven zweiten Halbzeit der Dortmunder “ein bisschen an den BVB von früher erinnert”.
Schiedsrichter mit zwei haarsträubenden Fehlern
Einzig die mangelnde Chancenverwertung war erneut zu bemängeln beim stark verbesserten BVB, der vom früheren Kapitän Kehl mit einer spontanen Rede auf die wegweisende Partie eingeschworen worden war und dann kämpferisch ganz anders zu Werke ging als zuletzt. Der bärenstarke Pierre-Emerick Aubameyang, der auch Gündogans Treffer glänzend vorbereitete, scheiterte im zweiten Durchgang zwei Mal am glänzend aufgelegten TSG-Keeper Baumann (61.Minute, 75.). Nach einer Ecke fand auch der mit aufgerückte Hummels in ihm seinen Meister (63.). Weil zudem Schiedsrichter Felix Zwayer einen lupenreinen Treffer Aubameyangs aberkannte, obwohl die BVB-Rakete deutlich nicht im Abseits stand, mussten die Fans bis zuletzt um das Ende der Talfahrt zittern.
Kurz vor Schluss hätten sich die Dortmunder nämlich nicht über einen Strafstoß gegen sich beschweren können, als Subotic rüde gegen Tarik Elyounoussi einstieg. “Es wäre ein glücklicher Punkt für uns gewesen, aber trotzdem war es zu hundert Prozent ein Elfmeter”, durfte sich Klopps Gegenüber Gisdol unwidersprochen über einen weiteren Fehler des schwachen Unparteiischen aufregen.
T-Frage hängt bis Anderlecht über dem BVB
Trotz des knappen Siegs will von Trendwende noch keiner was wissen bei den Westfalen. “Das haben wir nach dem Gladbach-Spiel auch schon gesagt”, erinnerte BVB-Urgestein Kevin Großkreutz mit erhobenem Zeigefinger an das wenig nachhaltige Zwischenhoch vor einigen Wochen.
Es bleibt noch viel zu tun bei der Borussia, um aus der Krise herauszufinden. Auch die Entscheidung über die Nummer eins im Tor der Dortmunder will noch gefällt werden. Fans, Presse, und Öffentlichkeit dürften gespannt sein, wie diese spannende T-Frage gelöst wird, die ja auch die gesamte Statik im Team betrifft. Zum Glück für den BVB geht es schon am Dienstag in der Champions League gegen den RSC Anderlecht weiter.