Mühsamer Auftakt der EM-Qualifikation: Beim hart erkämpften Erfolg über Schottland lässt die deutsche Nationalmannschaft viele Wünsche offen. Der Bundestrainer wirbt vorsorglich um Geduld: “Wir werden improvisieren müssen.”
Es waren nur diese zwei kurzen Momente, die in Dortmund weltmeisterlichen Charme verbreiteten, und sie trugen den Namen Thomas Müller. Erst köpfte der Münchener den Ball wie einst Uwe Seeler in die Maschen: bedrängt von zwei mächtigen Gegenspielern, mit dem Hinterkopf, eine Bogenlampe aus schwieriger Position. Den Siegtreffer beim mühsamen 2:1-Sieg über Schottland zum Auftakt der EM-Qualifikation hat er dagegen einfach reingemüllert: ein Abstauber aus kurzer Distanz. Mit diesem “Bomber der Nation”-Gedächtnistreffer hatte der Bayern-Star auch beim Titelgewinn in Brasilien geglänzt.
“Er ist eine Maschine”, sagte Gäste-Trainer Gordon Strachan später mit höchsten Respekt. “Er kann mich nicht mehr verblüffen”, äußerte dagegen Joachim Löw hochachtungsvoll über seinen Matchwinner, dem er längst alles zutraut. Zum Beispiel, dem Bundestrainer durch den vermiedenen Fehlstart das Leben leichter zu machen in der nächsten Zeit. Denn insgesamt offenbarte die Partie gegen die mutige “Tartan Army” beim Weltmeister etliche Defizite, die es zu beheben gilt.
Der nächste Ausfall droht
“Im Oktober werden wir frischer sein“, sagte der DFB-Coach halb entschuldigend, halb angreifend. Bis dahin hofft er darauf, dass einige der WM-Helden ihren Rhythmus wiedergefunden haben. Ob sich Hoffnung auf die Rückkehr der angeschlagenen Leistungsträger in jedem Fall erfüllt, ist aber offen.
Zumal nach den längerfristigen Ausfällen von Kapitän Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira nun auch noch bei Marco Reus eine Zwangspause droht. Der Dortmunder knickte in der Schlussphase bei einem Foul böse um, eine Diagnose steht noch aus. Mats Hummels und Mesut Özil dagegen könnten beim nächsten Länderspiel-Doppelpack in knapp fünf Wochen gegen Irland und Polen wieder dabei sein.
Mit etwas Glück – und Müller – aus der Bredouille
In diese Partien geht die DFB-Elf dann immerhin mit einem Erfolgserlebnis. “Drei Punkte, das war meine einzige Erwartung heute”, sagte der Bundestrainer nach dem Spiel und gab sich mit dem Minimalziel zufrieden. Löw hatte wohl geahnt, dass die Partie gegen den 28. der Weltrangliste mühselig werden würde, aber auch in diesem Ausmaß?
“In der 2. Halbzeit haben wir zeitweise die Kontrolle verloren”, gab der 54-Jährige freimütig zu. Nach dem 1:1 von Schottlands Wirbelwind Ikechi Anya (66. Minute) stand die Partie durchaus auf der Kippe, so dass Schottland-Coach Strachan unwidersprochen sagen konnte: “Da hatte ich wirklich das Gefühl, dass wir hier sogar gewinnen können.” Mit Glück – und Müller – arbeitete sich die deutsche Nationalmannschaft aus der vorübergehenden Bredouille heraus.
Durm mit vielen guten Szenen
Trotzdem bleiben viele offene Fragen. Etwa zur Dauerbaustelle Abwehr. Dort kam der Bundestrainer in seinen Überlegungen nur auf einer Position weiter: Linksverteidiger Erik Durm bewarb sich mit einer mehr als ordentlichen Leistung für weitere Testläufe, nachdem der 22-Jährige Shooting-Star vom BVB gegen Argentinien von Angel di Maria noch schwindelig gespielt wurde. Gegen die Schotten stand Durm defensiv fast immer sicher, und in der Offensive hatte er sogar richtig gute Szenen. Darunter mehrere viel versprechende Flanken, die seine Teamkollegen aber ungenutzt liegen ließen.
Rudy mit Schwächen – Großkreutz angezählt
Beim Rechtsverteidiger hatte der Bundestrainer die Casting-Show um einen Überraschungskandidaten erweitert. Der erst kurz vor dem Argentinien-Spiel nachnominierte Sebastian Rudy durfte sein Glück versuchen und erledigte die Aufgabe mit Licht und Schatten. In der Offensive wusste der Hoffenheimer als gelernter Mittelfeldspieler zu überzeugen und steuerte auch die feine Vorlage zum 1:0 bei. Doch im Rückwärtsgang offenbarte der 24-Jährige auf der ungewohnten Position eklatante Mängel im Stellungsspiel. Immer wieder hatte Rudy allergrößte Probleme, Schottlands späteren Torschützen Anya unter Kontrolle zu halten und zwang so ein ums andere Mal auch Abwehrchef Jerome Boateng in schwierige Duelle mit dem Wirbelwind.
Bereits kurz nach Spielende sagte Löw, dass er auf dieser Position wohl den Kreis der Anwärter erweitern wird und sich dazu erneut in der Bundesliga umschaut. Kevin Großkreutz dagegen scheint aus dem Rennen. “Er wird wohl langfristig nicht bei seinem Klub auf dieser Position spielen”, sagte Löw und wies dem BVB-Spieler durch die Blume die Tür. Im Mittelfeld wird Großkreutz im DFB-Team nicht gebraucht, und daher scheint es nur die Frage einer gewissen Schamfrist, bevor er den Weltmeister aus dem Kader befördert.
Gesucht: spielerische Lösungen gegen Betonabwehr
Im Mittelfeld und Angriff hofft Löw darauf, dass sich in ein paar Wochen die Probleme von selbst erledigen. “Die Spieler sind jetzt nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte, aber das ist völlig normal für diese Phase der Saison”, so der Bundestrainer. Christoph Kramer und Toni Kroos standen im defensiven Mittelfeld nach hinten ganz ordentlich bis zur Druckphase der Schotten, doch vor allem nach vorne fehlte bei beiden der zündende Funken. WM-Edeljoker Andre Schürrle wirkte ungewohnt fahrig, vor allem im Abschluss.
Wie kurz nach der Pause, als er einen Volley-Schuss aus zehn Metern weit über das Tor von Gäste-Keeper Marshall hämmerte. So kompakt wie die Schotten, mit zwei Viererketten auf die wenigen Konter hoffend, werden vermutlich alle Gegner der EM-Qualifikation stehen. Selbst wenn ein Mesut Özil zurückkommt, müssen hier Lösungen entwickelt werden, den gegnerischen Abwehrbeton auf spielerische Weise zu knacken.
Auch der Sturm bleibt eine Baustelle
In der Spitze hatte Mario Götze nur ganz wenige gute Aktionen. Nachdem der Bundestrainer im Argentinien-Spiel mit Mario Gomez – erfolglos – einen echten Stürmer brachte, versuchte er es nun also wieder mit der falschen Neun, doch der ehemalige Dortmunder blieb bei der Rückkehr ins frühere Westfalenstadion blass.
Obwohl das erwartete Pfeifkonzert gegen den Abtrünnigen selbst von der Südtribüne weitgehend ausblieb, spielte Götze an alter Wirkungsstätte irgendwie gehemmt. Ein Traumpass auf seinen früheren BVB-Buddy Reus und ein schönes Solo kurz vor Schluss waren insgesamt etwas wenig als Tagesleistung für den hochbegabten Schützen des goldenen WM-Finaltores. “Wir werden in nächster Zeit improvisieren müssen”, gab der Bundestrainer als Losung aus – und das gilt vermutlich für fast alle Mannschaftsteile.