Vorm Auftakt der EM-Qualifikation gegen Schottland: Der Mittelfeldmaestro der deutschen Nationalmannschaft hat genug vom Mitleid für den verpassten WM-Titel. Er will seine Zukunft lieber selbst gestalten.
Marco Reus ist der Meister der Tempowechsel: Mal gemächlich und absichernd, im nächsten Moment schnell und explosiv. Was das Spiel auf dem grünen Rasen eben so hergibt. Für ihn persönlich gilt dieses Talent aber genauso. Über seine Zukunft bei Borussia Dortmund mauert der Mittelfeldmaestro seit Wochen, als stamme er in direkter Linie aus der Waldhof-Schule ab, wie ein unehelicher Sohn von Jürgen Kohler.
Aufs Sportliche bezogen blickt der BVB-Star dagegen angriffslustig aus dem hellblauen DFB-Hoodie, wie vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland zu bewundern ist. “Je mehr Spiele ich mache, desto mehr Verantwortung bekomme ich in der Nationalmannschaft”, sagte Reus auf der Pressekonferenz vor der Partie in seinem Heimatstadion Dortmund. Und: “Ich traue mir das zu.”
“Ich denke nicht über die Vergangenheit nach”
Auf dem Weg zur EM 2016 will Reus den Ton mit angeben. Dazu muss er weder als Weltmeister dekoriert sein noch dem neuen Mannschaftsrat angehören. Als Ersatz für die verpassten WM-Ehren soll nun mit der DFB-Elf im Umbruch der Europameistertitel her. Von Bundestrainer Joachim Löw erhält er alle Unterstützung. “Ich bin sicher, dass Marco noch einige große Turniere spielen und dabei für Furore sorgen wird”.
Zurückblicken gilt nicht, und die Mitleidstour schon mal gar nicht. “Es hilft jetzt nicht zu jammern. Über die Vergangenheit denke ich nicht mehr nach”, so Reus. Der begehrte Offensivspieler hatte sich – in absoluter Topform – am Tag vor Abflug der Nationalelf nach Brasilien verletzt und wird daher zumindest vorerst nicht als Weltmeister in die Geschichtsbücher eingehen.
Comeback schneller als erwartet
Vermutlich hat er bei Jürgen Klopp gut aufgepasst, denn Reus scheint den verständlichen Frust vollständig in positive Energie umzuwandeln. Sein BVB-Trainer begreift ja vermutlich selbst eine Flutkatastrophe als Renovierungschance, und so hat auch Reus sofort sämtliche Energie in die Reha gesteckt. “Ich habe mich direkt nach der WM-Absage darauf konzentriert, schneller als erwartet zurückzukommen. Das ist mir gelungen.” Eigentlich war sein Comeback im Training erst für die nächsten Tage angepeilt worden. Ein “Teilriss der Syndesmose und des knöchernen Bandausrisses am Fersenbein”, so der komplexe Fachausdruck, braucht im Normalfall diese Zeit zur Heilung.
Nicht bei Reus, der nicht nur längst trainiert, sondern schon erfolgreich für seinen Klub im Pokal gespielt und in der Bundesliga am zweiten Spieltag in Augsburg sogar ein wichtiges Tor geschossen hat. Zuletzt bei der ernüchternden 2:4-Klatsche der DFB-Elf gegen Argentinien in der Neuauflage des WM-Finales gehörte der 22-malige Nationalspieler zu den Besseren in Schwarz und Weiß. Er hatte einige gute Offensiv-Szenen und in der Schlussphase auch noch Pech mit einem satten Pfostenschuss. Was die Eigenbeurteilung angeht, wählt der Tempospezialist trotzdem die mittlere Geschwindigkeit: “Ich bin noch nicht bei hundert Prozent, aber jedes Spiel, das ich machen kann, tut mir gut.”
Es ist magisch, im Tempel aufzulaufen
Wenn jedoch seine Zukunft zum Thema wird, etwa ein möglicher Wechsel zum FC Arsenal, nimmt Reus dagegen komplett die Fahrt raus: “In letzter Zeit wurde viel spekuliert, aber das gehört jetzt nicht hier her”, sagt der 25-Jährige auf die Nachfragen britischer Journalisten in der Sportschule Kaiserau, wo sich die deutsche Nationalmannschaft für den Ernstfall vorbereitet. Lieber verweist Reus auf die Konzentration fürs Spiel gegen Schottland. Sollen doch die anderen deuten, ob die Rückkehr von Shinji Kagawa zum BVB nun für seine Vertragsverlängerung spricht – respektive den Verzicht auf die Ausstiegsklausel, die im kommenden Sommer greift. Europas Spitzenklubs stehen so oder so Schlange, um den gebürtigen Dortmunder 2015 für den Schnäppchenpreis von vermuteten 25 Millionen Euro zu holen, nicht nur der FC Arsenal oder der FC Bayern.
Reus fühlt sich in seiner Verhandlungsposition offenbar wohl, und natürlich genießt er es auch, von Borussen-Seite konstant gebauchpinselt und umworben zu werden. BVB-Chef Hans-Joachim Watzke plant Großes mit ihm und würde den Dortmunder Jung‘ am Liebsten zum Idol der Marke Uwe Seeler hochjazzen – dem Inbegriff der treuen Vereinsseele im Haifischbecken Bundesliga. Noch dankt es Reus nur mit indirekten Liebesbekundungen zu Schwarz-Gelb – etwa, wenn er das Stadion seines Heimatklubs in den Himmel lobt, in dem nun das Duell mit Schottland steigt: “Es ist einfach magisch, dort zu spielen. Man freut sich jedes Mal, wenn man in diesem Tempel aufläuft.” Sollte er doch irgendwann dem Ruf des großen Geldes erliegen, bietet sich für den BVB jetzt schon die neue Reus-Maxime an: “Jammern hilft nicht.”