Herber Rückschlag für Borussia Dortmund

Zum Ligastart wird der Vizemeister nach allen Regeln der eigenen Kunst vorgeführt. Gegner Bayer Leverkusen spielt den besseren BVB-Fußball.

Falls es den Dortmundern ein Trost sein sollte nach der ebenso bitteren wie verdienten 0:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen: den neuen Lieblingsfeind Karl-Heinz Rummenigge haben die Borussen zum Bundesligastart ganz nebenbei mal klar widerlegt. Nicht immer ist die Kopie schlechter als das Original, wie Münchens Chef-Ideologe jüngst in Richtung des renitenten Herausforderers ätzte. Denn so wunderbar, wie die Gäste aus Leverkusen in Dortmund lupenreinen BVB-Fußball zelebrierten – das war mindestens so gut wie die westfälische Vorlage und genauso hübsch anzusehen.

Mit den eigenen Waffen geschlagen
„Für die erste Minute habe ich keine Erklärung“, sagte BVB-Trainer Klopp nach der Partie achselzuckend. Nach nicht einmal neun Sekunden (!) lag der Ball im Dortmunder Tor und machte alle Pläne für einen ruhigen Ligastart zunichte. Karim Bellarabis Treffer war zugleich der schnellste der Bundesliga-Geschichte, und damit zu schnell für die meisten Schwarz-Gelben. „Dass Leverkusen so früh auf den Ball geht, hat ja eigentlich keinen überrascht“, sagte Klopp später und fügte mit Sarkasmus hinzu: „Und bei uns nur vier oder fünf Mann.“ 94 Minuten nach dem Blitztor legte Stefan Kießling nach Bellarabis toller Vorarbeit den zweiten Treffer nach und machte Bayers Spiel zu einer wirklich runden Sache.

Das wirklich Erstaunliche war aber nicht diese Klammer in Torform, sondern was dazwischen im früheren Westfalenstadion passierte. Mit dem Rückenwind des Traumstarts spielte Bayer beim Bundesliga-Debüt seines neuen Trainers Roger Schmidt mutig jenes Pressing und Gegenpressing, mit dem der BVB einst die Liga verzaubert hatte. Fast unglaublich, mit welcher Verve und Ausdauer die Gäste aus dem Rheinland vor allem im ersten Durchgang die Vorgaben des früheren Paderborn- und Salzburg-Coaches umsetzten – nach einer nur relativ kurzen gegenseitigen Gewöhnungszeit. Ständig standen sie den Dortmundern auf den Füßen, deren Offensivspiel dadurch nicht in Gang kam. Ständig kamen die BVB-Kicker zu spät, standen falsch oder gegen zu viele Gegner. Die Folge: Das gefürchtete Kurzpassspiel wollte gegen diesen Jagdfußball nicht ansatzweise funktionieren.

Wie am ausgestreckten Arm des großen Bruders
Nach einer nahezu makellosen Saison-Vorbereitung und der mehr als ordentlichen Generalprobe im Supercup gegen den FC Bayern hatte sich der BVB ein gutes Stück weiter gewähnt. Doch unter den doch etwas härteren Bundesliga-Bedingungen entpuppte sich der vermeintliche Fortschritt als Trugschluss. Auf dem Weg, den Abgang von Weltklassestürmer Robert Lewandowski durch einen Systemwechsel zum 4-4-2 mit Raute im Mittelfeld und zwei Stürmern in der Spitze zu kompensieren, kassierte der BVB einen herben Rückschlag und wurde dabei mit den eigenen Waffen geschlagen. Sebastian Kehl war als alleiniger Sechser im defensiven Mittelfeld überfordert, die im stilbildenden 4-2-3-1-System spielenden Leverkusener nutzten die zahlenmäßige Überlegenheit im Zentrum gnadenlos aus.

Weder Marco Reus, noch der in der Vorbereitung überragende Henrich Mchitarjan, waren in der Lage, dem Dortmunder Spiel eine Richtung zu geben. „Wir wussten, der BVB spielt gerne durch die Mitte, daher haben wir das Zentrum dicht gemacht“, verriet Schmidt das ebenso einfache wie raffinierte Rezept. Aus der daraus resultierenden Anfälligkeit der Werkself bei eigenen Ballverlusten „haben wir zu selten Nutzen gezogen“, ärgerte sich Klopp. Wie ein wild um sich boxender kleiner Junge, der von seinem großen Bruder mit ausgestrecktem Arm auf Distanz gehalten wird, kämpfte seine Mannschaft vergeblich um einen Wirkungstreffer.

Immobile fremdelt noch
Keine einzige viel versprechende Chance sprang im ersten Durchgang für die Gastgeber raus, genauso wenige bis zur hektischen Schlussphase, obwohl der BVB nach der Pause in die gewohnte Grundordnung zurückgekehrt war und dadurch zumindest defensiv Sicherheit gewann. Als in der 82. Minute auf der Anzeigetafel „Meiste Torschüsse: Ginter. 1“ aufleuchtete, war den 80.000 im früheren Westfalenstadion längst klar, dass an diesem Abend nur ein Lucky Punch einen Punkt hätte retten können. Doch selbst mit der Brechstange brachte Dortmund die Gäste nur zwei Mal leicht in Verlegenheit: Matthias Ginter (83.) und Pierre-Emerick Aubameyang (93.) fanden ihren Meister aber in Leverkusens exzellentem Keeper Bernd Leno. Wie es besser geht, bewies dann Kießling, der nach Erik Durms fürchterlichem Patzer gegen Bellarabi mit dem Schlusspfiff letzte Zweifel beseitigte.

So wie Bayern-Trainer Pep Guardiola nach der Supercup-Schlappe in Dortmund für sein Team Geduld für die nächsten Wochen reklamiert hatte, so hofft nun auch der BVB auf den Faktor Zeit. „Wir müssen den Jungs jetzt helfen“, warb Klopp um Verständnis und meinte damit zum einen die Weltmeister, die noch Trainingsrückstand haben, wie bei Durm und Ginter deutlich zu sehen war. Zum anderen aber auch Reus nach überstandener Verletzung und vor allem Neuzugang Ciro Immobile, der bei seinem Liga-Debüt ordentlich fremdelte. Der Torschützenkönig der italienischen Serie A strahlte keinerlei Torgefahr aus, machte es mit seiner statischen Spielweise der Bayer-Abwehr aber auch sehr leicht. „Wir sind da entspannt“, sagte Klopp über seinen neuen Angreifer und nahm lieber den Rest der Mannschaft in die Verantwortung. „Wir haben heute ja nicht so gespielt, als dass ein Stürmer sich haufenweise Chancen hätte erarbeiten können.“

Es gibt noch einen weiteren Trost
Eine Alternative zu Immobile gab es nicht, nachdem sich auch Adrian Ramos noch zur ohnehin wieder ärgerlich langen Liste von acht Verletzten gesellt hat. Während der große Konkurrent FC Bayern trotz ähnlicher Probleme einen glücklichen Auftaktsieg feierte und sich über die Ausrutscher der vermeintlichen Konkurrenz aus Dortmund, Schalke und Wolfsburg vermutlich schlapp lacht, könnte der Start für den BVB nun deutlich ungemütlicher werden als gedacht. Weiteren Trost spendet nur der Blick in die Fußball-Geschichtsbücher: Schon in die Saison 2010/2011 starteten die Dortmunder mit einem 0:2 – gegen Bayer Leverkusen. Und zogen danach bis zum überraschenden Gewinn des Meistertitels diesen unfassbaren Powerfußball durch, der doch so schwer zu kopieren schien.

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