Lewandowskis Jubiläumstreffer, Gündogans neuer Vertrag und ein lebendiger Traum vom Titel im DFB-Pokal veredeln Borussia Dortmunds Sensationswoche. Beim glücklichen Sieg über den VfL Wolfsburg lässt sich selbst ein skurriler, interner Zoff nur positiv deuten.
Als sich Roman Weidenfeller in der dritten Minute der Nachspielzeit seinen Teamkollegen Marco Reus zur Brust nahm, wirkte es beinahe, als hätte Borussia Dortmund gerade alle Saisonziele verspielt und der Selbstzerfleischungsprozess eingesetzt. Wie eine Furie ging der BVB-Keeper auf den Mittelfeldspieler los und stellte ihn in den Senkel – für mangelhaftes Abwehrverhalten, für eine vertändelte Konterchance. Dabei führten die Schwarz-Gelben zu diesem Zeitpunkt längst 2:0 gegen den VfL Wolfsburg, der Einzug ins DFB-Pokalfinale war so gut wie sicher. Gegen bärenstarke Gäste war es dem Torwart wohl schlicht zu aufregend geworden, der Routinier hatte sich einen ruhigeren Abend gewünscht. „Roman lässt sich die Bälle aus zwei Metern in die Fresse schießen und kann die Emotionen nicht rauslaufen“, sagte Trainer Jürgen Klopp später zu dem öffentlich ausgetragenen Disput und drehte ihn ebenso einfach wie wirkungsvoll ins Positive. „Roman hat halt Ehrgeiz.“
Plötzlich reißen die guten Nachrichten nicht ab
Warum sollte sich der Dortmunder Coach auch aufregen? Seine Jungs werden sich schon wieder zusammenraufen. Denn mit dem etwas glücklichen Sieg über das Team von Dieter Hecking haben die Westfalen schon jetzt aus einer Spielzeit in der Schwebe eine Riesensaison gemacht: Der vom Verletzungspech so gebeutelte BVB wird sich in der Bundesliga aller Voraussicht nach wieder direkt für die Champions League qualifizieren, er steht zum insgesamt sechsten Mal im Pokalfinale, schon zum dritten Mal allein seit 2008. Trotz des knappen Ausscheidens vor einer Woche gegen Real Madrid hat die Königsklasse dem Vorjahresfinalisten erneut viel Geld und Renommee eingebracht. Nachdem es beim BVB in den Monaten zuvor lange schien, als habe Hiob ein Haus an der Strobelallee gemietet, reißen nun die positiven Nachrichten nicht mehr ab. Unmittelbar vor der Partie gegen Wolfsburg konnte der Klub auch noch die Vertragsverlängerung von Ilkay Gündogan bekannt geben.
Dass diese erst einmal nur um ein Jahr bis 2016 erfolgt, ging im Jubel der Südtribüne unter. Ob es klug ist, dem seit Monaten verletzten Nationalspieler alle Trümpfe in die Hand zu geben – ein Jahr mehr Sicherheit und zugleich die Chance, sich für andere Topteams zu empfehlen, falls es die Fitness wieder zulässt – darüber lässt sich nun in Ruhe streiten. Für das umkämpfte Halbfinale im DFB-Pokal reichte der zusätzliche Stimmungsschub von Stadionsprecher Norbert Dickel jedenfalls aus. „Vielen Dank an jeden Einzelnen, der heute seine Stimme für uns verloren hat“, zog Klopp den Hut vor den lautstarken Fans, die ihren Anteil daran hatten, dass alle Akteure des Doublesiegers von 2012 nach dem neuerlichen Spektakel mit „Pokalfinale. Schön, wieder da zu sein“-Schals eine Ehrenrunde laufen konnten. Für die Schwarz-Gelben gehen die Fußballfeiertage einfach weiter, nun soll im Endspiel in Berlin der Pott her – wahrscheinlich im Traumfinale gegen den Meister FC Bayern. Dass es der BVB immer noch in sich hat, den Rivalen aus München zu ärgern, den Beweis haben die Herren Vollgasfußballer erst am vergangenen Wochenende erbracht mit dem coolen 3:0-Sieg in der Allianz-Arena.
Wolfsburg stirbt den Chancentod
Eben jene Souveränität ging dem BVB gegen die Wölfe allerdings manchmal ab, obwohl die Weichen schon vor der Pause auf Erfolg gestellt waren. Der groß aufspielende Henrich Mchitarjan hatte mit seinem Schuss von der Strafraumkante früh die Führung erzielt (12.). Kurz vor dem Wechsel setzte der künftige Münchner Robert Lewandowski in unnachahmlicher Manier noch einen drauf: Nachdem er den Ball vom Elfmeterpunkt satt in den Winkel gesetzt hatte, zeigte er der Gelben Wand mit einem T-Shirt samt Aufschrift „100“, wie wichtig er für den BVB ist. Es war sein Jubiläumstreffer für Dortmund – eine Riesenquote für nur vier Spielzeiten in Schwarz-Gelb. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Stürmer in seinem ersten Jahr noch Anlaufschwierigkeiten hatte und in Pflichtspielen nur neun Mal traf.
Doch auch schon vorm zweiten Treffer hatten die Wolfsburger der Dortmunder Offensivkunst mindestens Gleichwertiges entgegen zu setzen: Kevin de Bruynes Schuss konnte Kevin Großkreutz gerade noch per Flugeinlage zur Ecke entschärfen (21.), bei Junior Malandas Kopfball rettete der Pfosten (42.). Nach der Pause wurden die Gäste sogar noch stärker und schossen in nur einer Halbzeit ein stolzes Chancenverhältnis von 7:4 für sich heraus. Maximilian Arnold trat am leeren Tor vorbei, nachdem Weidenfeller und Mats Hummels sich gegenseitig über den Haufen gerannt hatten (52.), Ivica Olics Kopfball strich knapp über die Latte (69.), Malanda machte im Abschluss gleich zwei Mal alles falsch, nachdem de Bruyne mit perfekten Flanken alles richtig gemacht hatte (75., 80.).
Beim nächsten Versuch scheiterte Malanda aus nächster Nähe an Weidenfeller, der dabei selbst Kopf und Kragen riskierte, und verletzte sich womöglich schwer. Den Nachschuss setzte Luiz Gustavo an den Pfosten (82.). Und selbst in der fünfminütigen Nachspielzeit wollte kein Treffer gelingen, weil der eingewechselte Daniel Caligiuri freistehend nur ans Außennetz köpfte. „Das war ein brutal starker Auftritt“, sagte BVB-Trainer Klopp später anerkennend in Richtung der Gäste, die das Dortmunder Tor unter völlig ungewohnten Dauerbeschuss nahmen. „Sie haben uns vor Aufgaben gestellt, die wir nur mit erhöhter Laufbereitschaft lösen konnten.”
“Bei Verlängerung Panikattacken”
Seine eigene Mannschaft rettete sich nur auf der Felge ins Ziel. Nationalverteidiger Hummels feierte nach Abpfiff im Sitzen vor der Südtribüne, weil die Kraft für wildes Hüpfen nicht mehr reichte. Denn statt den Deckel auf die Partie zu setzen, machten es die Borussen bis zum Schluss spannend. So kam der BVB nach einem starken Lewandowski-Drehschuss in der 66. Minute nicht mehr zu gefährlichen Torabschlüssen, vergab aber im Minutentakt leichtfertig Konterchancen. Und zwar meist im Ansatz, was nicht nur Torwart Weidenfeller letztlich auf die Palme brachte. Die Partie hatte jederzeit das Potenzial, noch einmal hochbrisant zu werden. „Bei einer Verlängerung hätte ich Panikattacken bekommen“, gab Klopp sogar freimütig zu.
Dass Dortmunds Serie hielt und der BVB ohne ein einziges Gegentor in diesem Wettbewerb ins Finale einzog, war ein kleines Fußballwunder. Die Wolfsburger, die zum zweiten Mal in nur elf Tagen eine mehr als hübsche Visitenkarte im früheren Westfalenstadion abgaben, können sich indes mit dem Blick in die Zukunft trösten. Es gehört nicht viel dazu sich vorzustellen, was der finanzstarke VfL in der kommenden Saison mit zwei, drei weiteren Neuzugängen auf die Beine stellen wird. Bei Jürgen Klopp klang der Respekt für den Rivalen in spe jedenfalls schon jetzt voll durch: „Der Weg, auf dem sich Wolfsburg befindet, ist besorgniserregend gut.“