Es ist wie verhext: Der Armenier hätte für das Wunder von Dortmund sorgen können, doch zum wiederholten Male scheitert der teuerste Spieler der BVB-Geschichte an seinen Nerven.
Nach dem Schlusspfiff im früheren Westfalenstadion führte Jürgen Klopps Weg ziemlich schnell Richtung Mittelkreis zu Henrich Mchitarjan. Der Trainer der Dortmunder Borussia hatte vermutlich das richtige Gespür für die Situation: Er nahm seinen Spielmacher in den Arm und presste ihn dabei fest an seine Brust. Wie ein Vater mit seinem Sohn, so sah das Zusammentreffen des früheren Abwehrhünen mit dem deutlichen kleineren Regisseur unwillkürlich aus. Der teuerste Einkauf der Klub-Geschichte hatte den Trost seines empathischen Chefs dringend nötig, während der Rest der BVB-Gemeinde nur noch schwankte zwischen Frust über die verpasste Chance und Stolz über den tollen Fußball-Abend. Nach etlichen durchwachsenen Spielen hätte ausgerechnet Mchitarjan beim 2:0-Sieg über Real Madrid zum gefeierten Star werden können. Doch der Armenier vergab aus bester Schussposition das nötige dritte Tor und sicherte sich bei Dortmunds ehrenvollen Abschied aus der Champions League einmal mehr nur den Titel „tragischer Held.“
Mickisonstwas und der Fluch der guten Tat
„Henrich hat ein überragendes Spiel gemacht“, lobte Klopp seinen Schützling trotzdem hinterher. Das war wohl eine ziemliche Übertreibung – ihre Berechtigung hatte sie wohl auch darin, den sensiblen 27-Millionen-Mann vor allzu scharfer öffentlicher Kritik in Schutz zu nehmen. Zwar lief und kämpfte Mchitarjan bis zum Umfallen und trieb das Spiel seiner Borussia gegen den großen Gegner an der Seite des überragenden Marco Reus unermüdlich an. Doch am Ende blieben seine beiden kostspieligen Fehlschüsse am meisten in Erinnerung. Besonders an der zweiten „Fahrkarte“ werden die Fans wohl noch einige Zeit zu knabbern haben: In der 69. Minute lief der 25-Jährige nach einem Traumpass von Reus alleine auf Madrids Torhüter Iker Casillas zu, umkurvte den spanischen Weltmeister geschickt – und setzte den Ball dann trotzdem nur an den Pfosten. Das musste einfach ein Tor sein – es wäre das 3:0 gewesen, das womöglich die Verlängerung erzwungen und den BVB noch näher ans Fußballwunder gebracht hätte. Im Viertelfinal-Hinspiel hatte Dortmund in Madrid mit eben jenem Ergebnis verloren.
Schon in der 18. Minute hatte der zu Saisonbeginn als Mario-Götze-Nachfolger von Schachtar Donezk ins Revier geholte Mittelfeldspieler eine herausragende Tormöglichkeit fahrlässig vergeben. Auch bei dieser Chance war es Reus, der seinen Nebenmann klasse frei spielte. Doch im Gegensatz zum deutschen Nationalspieler geht Mchitarjan der Torriecher und die Knipser-Qualität bislang völlig ab. Sechs Treffer in der Bundesliga, zwei in der Königsklasse, eins im Pokal: eigentlich keine so schlechte Bilanz für einen Mittelfeldstrategen – gemessen an den unzähligen Gelegenheiten zum Torerfolg aber eine miese Quote. Es ist der Fluch der guten Tat: Mchitarjan ist flink – vor allem auch mit dem Ball, er ist technisch unglaublich stark und im Spiel gedankenschnell. Nur solch ein Kicker mit diesen Fähigkeiten ist überhaupt in der Lage, an derart vielen Chancen beteiligt zu sein. Allein, den Vorwurf, ein Chancentod zu sein, wird der vom deutschen Bundestrainer Joachim Löw seinerzeit abfällig als „Mickisonstwas“ verunglimpfte Spielgestalter wohl auf absehbare Zeit nicht los.
Auch Lewandowski nannten sie Chancentod
„Er hatte zwei Momente, die viele schon erlebt haben, die mal Fußball gespielt haben“, erklärte Trainer Klopp die unglücklichen Szenen. „Gerade in schwierigen Phasen passiert so etwas.“ In einer solchen befindet sich der Spielgestalter gerade unzweifelhaft. Seit Wochen läuft er seiner Form hinterher, selbst einfachste Pässe misslingen beizeiten. Fast macht es den Eindruck, als würde der clevere, sprachbegabte Weltbürger zu viel grübeln, was seine Rolle auf dem Platz angeht. In den entscheidenden Sekunden fehlt immer wieder ein wenig die Lockerheit, die ihm den Durchbruch bei seinem neuen Klub bescheren könnte.
Dabei hat er seine Qualitäten doch längst unter Beweis gestellt, es gibt so viel Hoffnung für ihn und die Fans der Borussia: Neun Torvorlagen allein in der Bundesliga sprechen eine deutliche Sprache, damit befindet sich Mchitarjan unter den Top-Fünf Vorbereitern der Liga. Außerdem haben bislang fast alle Neuzugänge eine gewisse Anlaufzeit gebraucht, um im anspruchsvollen System des BVB-Vollgasfußballs anzukommen. Selbst Robert Lewandowski wurde anfänglich als Chancentod verschrien! Heute gehört er unbestritten zu den besten Stürmern der Welt.
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