Mit seinem Doppelpack bei Zenit stürzt der Stürmer eine Borussen-Ikone aus der Rekordliste und nährt die Hoffnung, dass es in der etwas kühlen Beziehung zwischen dem künftigen Münchner und Dortmund doch so etwas geben wird wie: Trennungsschmerz.
Spätestens mit dem erneuten BVB-Spektakel in St. Petersburg dürften sie sich erledigt haben: die allerletzten Zweifel, ob es richtig war, bei Robert Lewandowski auf eine fette Ablöse von bis zu 30 Millionen Euro zu verzichten und lieber auf die ungewisse Dividende eines erfüllten Arbeitsvertrags zu pokern. Mit seinen Champions-League-Treffern fünf und sechs in der laufenden Saison war der polnische Nationalstürmer erneut Borussia Dortmunds Erfolgsgarant in der Königsklasse. Dank seiner Tore im wilden 4:2-Auswärtssieg bei Zenit kann nur noch eine sportliche Dummheit den erneuten Weg von Schwarz-Gelb ins Viertelfinale versperren. Ganz nebenbei könnte Lewandowskis Abschied zum FC Bayern vielleicht doch viel gefühlvoller für beide Seiten ablaufen als befürchtet.
Auf seinem Spiel baut alles auf
„Robert ist so wichtig für uns“, zog Sebastian Kehl den Hut – nach einer irren Partie mit sechs Toren und ungleich mehr Chancen im altehrwürdigen Petrowski-Stadion, dieser Uraltarena mit Sowjet-Charme auf einer Insel in der Kleinen Newa. „Nicht nur, weil er so viele Tore schießt, er ist auch unglaublich präsent“, fügte der BVB-Kapitän hinzu. In der Tat. Lewandowski zeigte sich in seinem 50. Europapokalspiel gewohnt treffsicher und ist inzwischen an 20 von 39 BVB-Toren in der Königsklasse direkt beteiligt, seit die Dortmunder 2011 zurück auf die große Bühne gefunden haben. 16 Tore erzielte er davon selbst. Aber auch sonst ist er mit die Seele des Dortmunder Spiels. Auf seiner unermüdlichen Arbeit, dem Abnutzungskampf in der Sturmspitze, baut der Erfolg des Vorjahresfinalisten auf.
Klopp vor neuen Diskussionen bewahrt
Schon nach einer halben Stunde und dann erneut kurz nach dem Wechsel hätte sich Lewandowski mit einem Treffer für eine erneut außergewöhnliche Leistung belohnen können. Dann fand der künftige Star des FC Bayern mit seinem Doppelschlag Mitte der zweiten Halbzeit jeweils die richtige Antwort auf Zenits Anschlusstreffer. Besser hätte man die Tore gar nicht timen können. Nur vier Minuten nach dem umstrittenen und etwas glücklichen Anschlusstreffer durch Oleg Schatow (57.) brachte Lewandowski durch ein tolles Zusammenspiel mit dem starken Lukasz Piszczek die beruhigende Zwei-Tore-Führung zurück.
Nach Hulks ebenfalls nicht zweifelsfrei klarem Foulelfmeter (69.) brauchte er sogar nur zwei Minuten, um wieder für deutliche Verhältnisse zu sorgen und Trainer Jürgens Klopps Diskussionen mit dem vierten Offiziellen im Keim zu ersticken. Für die teils anarchisch gespielte zweite Halbzeit des BVB, der sich gegen einen überforderten, aber irgendwann mit dem Mute der Verzweiflung anrennenden Gegner unnötig selbst das Leben schwer machte, war das Gold wert.
Das Geld vermutlich wieder eingespielt
Für die Kasse und das Renommee der Borussia natürlich ebenso. Denn auch im Jahr nach der Finalteilnahme in der Königsklasse wird der BVB nun aller Voraussicht nach wieder offiziell zu den acht besten Teams Europas gehören. „Falls uns der Einzug ins Viertelfinale gelingt, wäre das fantastisch und würde für Stetigkeit stehen“, sagte BVB-Chef Watzke nach dem optimalen Hinspiel-Ergebnis und sah sich wohl darin bestätigt, Lewandowski noch ein weiteres Jahr zu halten.
Denn der Stürmer hat allergrößten Anteil daran, dass Schwarz-Gelb weiter im Konzert der Großen mitmischt. Mit bislang 14 Treffern in der Bundesliga ist der 25-Jährige in seiner letzten Saison bei den Westfalen auf dem besten Weg, sich dort endlich den Traum von der Torjägerkanone erfüllen und seinem Klub dabei die erneute Qualifikation für die Champions League zu sichern. Und mit seiner Kaltschnäuzigkeit auf Europas Fußballplätzen hat der Angreifer den Dortmundern bestimmt schon das Geld eines vorzeitigen Wechsels eingespielt.
Fahnenflucht bislang eher geschäftsmäßig registriert
Auch in finanziell nicht messbaren Kategorien macht er es den zahlreichen potenziell Enttäuschten schwer. Denn für alle Zweifler unter den Dortmunder Fans gilt diese Nachricht: Lewandowski ist mit 18 Treffern nun der erfolgreichste Europacup-Torschütze der Westfalen und hat damit sogar den ewigen Publikumsliebling Stephane Chapuisat abgelöst. Mit dem Schweizer sind all die großen Erfolge der Neunziger Jahre für immer verknüpft, trotzdem kommt er nur auf 16. Entgegen mancher Befürchtungen lässt sich Musterprofi Lewandowski nach dem monatelangen Wechseltheater eben nicht hängen und schafft damit die Voraussetzung für einen tollen Abgang bei Schwarz-Gelb – falls sich die Anhängerschaft darauf einlassen sollte.
„Lewa hat sich von den ganzen Schlagzeilen nicht beeindrucken lassen“, lobte Kapitän Kehl den Teamkollegen, der jüngst auf offener Straße mit einem Fan aneinandergeraten war, der ihm den nächsten Karriereschritt zum verhassten Rivalen übelgenommen hatte. Außerdem hatten Unbekannte sein Auto aufgebockt und alle Reifen geklaut. Direkt vor der eigenen Haustür. Ansonsten hatten die Fans den Plan des Abtrünningen in spe auf der Tribüne ja eher geschäftsmäßig zur Kenntnis genommen, und nicht mit dem Entsetzen enttäuschter Liebe wie etwa bei Mario Götze.
Rückkehr zum Powerfußball
Der Protagonist selbst nahm die erneute Klasseleistung beim erschreckend chaotisch spielenden Spitzenreiter der russischen Premjer Liga und den Eintrag in die Geschichtsbücher locker. „Die meisten Europacup-Tore? Das spielt keine Rolle. Zwei Tore in fünf Minuten zu erzielen, das war cool“, sagte der Pole und lobte lieber die beiden ersten Treffern seiner Mitstreiter, die den BVB vor gut 18.000 Fans in der russischen Millionen-Metropole früh auf den richtigen Weg brachten. Der Doppelschlag von Henrich Mkhitarjan (4.) und Marco Reus (5.) gleich zu Spielbeginn war wirklich beeindruckend. Nie zuvor gelang dem BVB in der Champions League ein solcher Blitzstart. Ganze 75 Sekunden lagen zwischen den beiden schön herausgespielten und durch brutales Gegenpressing erzwungenen Toren. Das war Powerfußball par excellence. Dortmund, alte Schule.
Nur in dieser Anfangsphase hielt sich Lewandowski noch zurück. Aber schon bald zeigte er, was ihn so wertvoll für den BVB macht und möglicherweise bald für die Bayern werden lässt. In seiner Ballannahme ist der Pole unerreicht. Wie er sich immer wieder in der Spitze behauptet und so dem ganzen Team Zeit gibt, nachzurücken und in Position zu gehen, ist schlicht einmalig. Sein Einsatz in St. Petersburg war nach einer Grippe am Wochenende lange fraglich. Dass diese ihn bei der peinlichen 0:3-Bundesligapleite des Vizemeisters in Hamburg zuletzt beeinträchtigt hatte, konnte man sich denken. Nun führte er den Beweis.
Vorbereitung auf die Zeit nach Lewandowski
„Über Lewa brauchen wir nicht zu reden. Seine Leistung ist schon die ganze Saison über richtig gut“, sagte Sportdirektor Michael Zorc und gab indirekt eine Ahnung, wie sehr der Klub seinen Ausnahmestürmer nach der Saison vermissen könnte. Trainer Jürgen Klopp, der seinen Schützling nach schlechteren Spielen stets in Schutz nahm und über jeden Verdacht stellte, mit den Gedanken schon im Süden der Republik zu sein, agierte dagegen einmal mehr antizyklisch. Er versuchte lieber, nach dem schlimmen Rückschlag in der Bundesliga die positive Energie gleich aufs ganze Team zu übertragen: „Das war richtig stark heute von ihm. Aber ausschlaggebend ist, wie seine Tore entstanden sind. Die Reaktion der Mannschaft war herausragend.“ Darauf müssen sich Klopp und Co. schließlich auch langsam argumentativ vorbereiten: Auf die schwere Zeit nach Lewandowski.