Der Angriff gewinnt Spiele, die Abwehr gewinnt Meisterschaften. Selten enthielt eine Sportfloskel so viel Wahrheit wie bei Seattles Debüt-Sieg in der 48. Ausgabe des Super Bowls. Eindrucksvoll walzen die Seahawks die Denver-Offensive platt und schwingen sich im großen Finale der National Football League NFL erstmals selbst zum Champion auf.
Auch nach dem Ende des Super Bowls ging die Demütigung durch die Seattle Seahawks ungebremst weiter. „Die Denver Broncos so deutlich zu schlagen, ist echt verrückt. Aber nicht für uns“, tönte Percy Harvin mit der breiten Brust des frisch gebackenen Champions. Mit 43:8 hatte sein Team gerade die beste Offensive des American Footballs in Grund und Boden gestampft. „Wir besitzen grenzenloses Vertrauen in unsere Defensive“, erklärte der Passempfänger. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, Peyton Manning zu stoppen – einen der besten Quarterbacks in der Geschichte dieses Sports.
Zwölf Sekunden für Seattles Ewigkeit
Die Spieler der Seahawks mögen die eigenen Fähigkeiten unbeeindruckt lassen, doch der Rest der Football-Welt hat die Demonstration der Stärke womöglich mit offenem Mund verfolgt. Nahezu alles gelang dem Team aus dem Nordwesten der USA an diesem denkwürdigen Abend in den Meadowlands von New Jersey, vor den Toren der Metropole New York City. Mit der zweitjüngsten Mannschaft der Liga feierten sie nun zum ersten Mal in ihrer 37-jährigen Klubgeschichte den Gewinn der Vince-Lombardi-Trophäe, des begehrtesten Schmuckstücks im amerikanischen Sport.
Schon nach zwölf Sekunden waren für die beste Defensive der amerikanischen Football-Liga NFL die Weichen auf Sieg gestellt. Der erste von insgesamt vier erzwungenen Ballverlusten der Broncos setzte früh den Ton für die grandios aufgelegten „Hawks“. Schneller hat noch nie ein Team im Super Bowl gepunktet. Oder eben Zähler kassiert – je nach Blickwinkel: „Das ist keine Art, ein Spiel zu beginnen. Danach haben wir nichts mehr auf die Reihe gekriegt“, haderte ein enttäuschter und enttäuschender Manning mit dem Schicksal, auch im zweiten Anlauf seinen zweiten Super-Bowl-Titel verpasst zu haben.
Ein trauriger Rekord zum Saisonabschluss
Seattle setzte dem 37-jährigen Superstar dermaßen zu, dass ihm noch im ersten Durchgang zwei Fehlpässe in die Arme des Gegners unterliefen. Ungewöhnlich für den sonst so präzise und routiniert arbeitenden Ballverteiler. Im gesamten ersten Viertel ließen die Seahawks nur 11 Yards der vermeintlichen Superoffensive zu.
Für das erfolgsverwöhnte Denver eine Katastrophe – im Laufe der regulären Saison hatte Manning einen persönlichen Rekord nach dem anderen aufgestellt: unter anderem für 55 Touchdowns und 5477 Yards Raumgewinn. Die Bestmarke für die meisten Pässe im Super Bowl kommt nun noch dazu, doch all das bleibt ein Muster ohne Wert, so wie die 606 Punkte, die das Team vor den Playoffs einsammelte. Für die traurigen Denver-Fans zählt unterm Strich nur diese erschütternde Zahl: fünf. Kein NFL-Team hat den Super Bowl häufiger verloren als ihres.
Wilson macht keine Fehler
Mannings Gegenüber im Metlife Stadium agierte war zwar auch nicht überragend, aber Russell Wilson machte vor allem viel weniger falsch als sein Vorbild. Immer wieder brachte der 25-Jährige entscheidende Pässe an den Mann und ließ sich nie aus der Reserve locken. Wie seine Kollegen ging auch der Quarterback mit gehörig Selbstvertrauen in das Nervenduell. „Warum nicht du?“ – das hat sein Vater ihm als Motto auf den Lebensweg gegeben, und der junge Mann übertrug es erfolgreich auf sein Team und auf das große Endspiel im Football.
Noch vor der Halbzeit führte Wilson seine Mannschaft zu zwei Feldtoren und einem Touchdown: Unter Riesenjubel der gewohnt lautstarken Seahawks-Fans trug Marshawn Lynch den Ball in die gegnerische Endzone. „Das ist fast so toll, wie geboren werden“, unkte der Running Back, als hätte er eine Erinnerung an den ersten erfolgreichen Durchbruch seines Lebens. Und als Denver gerade ein wenig ins Rollen kam, fing Malcolm Smith einen abgefälschten Ball von Manning ab und lief damit über mehr als den halben Platz ins Ziel. Auch für diese Aktion wurde der Linebacker zum wichtigsten Spieler des Finales gekürt. Bezeichnend für diesen Showdown, dass erstmals seit elf Jahren wieder ein Verteidiger zum MVP gewählt wurde.
Bibber-Bowl? Fällt aus
Auch nach der etwas müden Halbzeit-Show von Bruno Mars und den Red Hot Chili Peppers kamen die Broncos nicht in Tritt. Der Wille war dem Team von Trainer John Fox nicht abzusprechen, das größte Comeback der Super-Bowl-Geschichte doch noch zu schaffen. Wem, wenn nicht Routinier Manning, wäre es zuzutrauen gewesen? Insgesamt wurden die Zahlen besser für die Broncos, in vielen Vergleichen schlossen sie sogar nahezu zum Gegner auf. Nur bei den Punkten eben nicht.
Denn wieder waren die Broncos die einzigen im Stadion, die bei überraschend milden Temperaturen eiskalt erwischt wurden, nachdem 82.000 Football-Anhängern nach tagelanger Kälte zunächst ein Bibber-Bowl unter freiem Himmel gedroht hatte. Erneut brauchten die Seahawks exakt zwölf Sekunden für das nächste fette Ausrufezeichen. Gleich beim Wiederanstoß lief Harvin, der Mann mit der breiten Brust, den Ball in die Endzone. Das gesamte Team lief jubelnd hinter ihm her und feierte eine erste kleine Party. Gemeinsam mit den ohnehin stets euphorischen Fans, die sich wie beim Fußball „der 12. Mann“ nennen und auch keinen Vergleich zu ihren europäischen Pendants zu scheuen brauchen. Der Sieg war da bereits zum Greifen nah für die Seahawks, die Microsoft-Mitbegründer Paul Allen gehören.
Die Demütigung prangt von der Anzeigetafel
Was danach folgte, war aus neutraler Sicht vermutlich die langweiligste zweite Hälfte eines Super Bowls seit ewigen Zeiten. Die mutlosen und gefrusteten Broncos produzierten in der Offensive Fehler auf Fehler und kamen auf dem Feld nicht entscheidend voran. „Wir haben überhaupt nicht das gespielt, was wir können“, sagte ein enttäuschter John Elway – Quarterback-Legende der Broncos und heute eine Art Team-Manager.
Seattle dagegen spielte die Partie so routiniert herunter, wie es selbst die größten Optimisten von dieser jungen Truppe nicht erwartet hätten. Mit zwischenzeitlichen Explosionen der Stärke: Nach dem doppelten Superdreher von Jermaine Kearse prangte sogar kurzzeitig ein demütigendes 36:0 von den bunten Anzeigetafeln im Stadion. Doug Baldwin schraubte die Ausbeute noch weiter nach oben.
Seattle ist ein Versprechen auf die Zukunft
Dass zwischenzeitlich auch Denver noch durch Demaryius Thomas und Wes Welker punktete, bewahrte den Verlierer immerhin vor der Schmach, seinem eigenen „Rekord“ der schlimmsten Finalniederlage bedrohlich nahe zu kommen. 1990 unterlagen die Broncos den San Francisco 49ers sogar mit 10:55. In Colorado wird der 2. Februar 2014 vermutlich trotzdem aus den Geschichtsbüchern gestrichen.
In Seattle dagegen dürfte man sich an diesen sportlichen Feiertag wohl noch lange erinnern. Obwohl die Anhänger der Seahawks bei diesem ebenso hungrigen, wie ausbaufähigen Team durchaus auf weitere denkwürdige Auftritte hoffen können.