Dortmund kratzt und rennt und blutet – und trifft wieder. Der Sieg über den SSC Neapel beschert dem angeschlagenen BVB das heiß ersehnte Gruppenendspiel in der Champions League.
Aufgeben gilt nicht. An diesem bitterkalten Novemberabend im früheren Westfalenstadion war der BVB einfach nicht zu stoppen. Schon gar nicht durch solche Kleinigkeiten wie eine gebrochene Nase von Sven Bender: Der Aushilfsverteidiger hielt stolze 70 Minuten mit einer Fraktur durch und blutete dabei mehrere Trikots voll, so dass sogar Nachschub aus dem Fanshop beschafft werden musste. Borussia Dortmunds 3:1-Erfolg über den SSC Neapel war eine Leistung der Leidenschaft und des Willens. So leicht ist Schwarz-Gelb nicht kleinzukriegen, lautet die Botschaft an die Konkurrenz. Nach dem dringend benötigten Sieg über die Italiener haben es die personell auf der Felge fahrenden Dortmunder nun wieder selbst in der Hand, in die K.-o.-Runde der Königsklasse einzuziehen.
Unter Druck zu Großem fähig
„‘Manni‘ hat ja mittlerweile Übung darin“, griente BVB-Trainer Jürgen Klopp nach der Partie ob der Tatsache, dass Dauerpechvogel Bender nach der dritten Kopfverletzung innerhalb von nur drei Spielzeiten künftig erneut mit einer Gesichtsmaske auflaufen muss. Denn Ausruhen gilt ebenfalls nicht in Dortmund – angesichts des fürchterlichen Verletzungspechs, unter dem die Borussia gerade zu leiden hat. Wenn Dortmund in zwei Wochen bei Olympique Marseille ums Überwintern in der Champions League kämpft, wird Bender sicher wieder am Start sein. Um kurzerhand wieder in der Viererkette auszuhelfen oder an seinem angestammten Platz im defensiven Mittelfeld.
Ein Sieg in Südfrankreich, und der Finalist des Vorjahres steht plötzlich doch in der nächsten Runde. „Wir haben uns vorgenommen, unseren Champions-League-Traum weiterzuträumen. Jetzt sind wir wieder im Rennen“, sagte BVB-Trainer Jürgen Klopp nach der Partie und war sichtlich erleichtert, dass die ungewohnte Serie von zuletzt drei Pflichtspiel-Niederlagen in Folge wieder endete. Vor allem die jüngste Liga-Pleite gegen den FC Bayern hatte beim BVB aufs Gemüt gedrückt. Aber offensichtlich nur kurz, denn lediglich drei Tage später zeigte das Team in einer „Partie mit Erinnerungswert“, so Klopp, dass es unter maximalem Druck weiter zu Großem fähig ist – seien die Hindernisse auch noch so hoch.
BVB erneut Meister der Ineffizienz
Immerhin galt es gegen die Italiener, die schon mit einem Remis alle Dortmunder Hoffnungen zerstört hätten, die Ausfälle von Mats Hummels, Neven Subotic und Marcel Schmelzer zu kompensieren. Die runderneuerte Not-Defensive um den immer souveräner werdenden Sokratis machte ihre Sache gegen Neapel mehr als ordentlich. Allerdings auch nicht „überragend“, so wie es Dortmunds Trainer im Überschwang der Gefühle gesehen haben wollte. Immerhin kamen die starken Gäste zu drei Großchancen durch Rechtsaußen Jose Callejon (30.), Stürmerstar Gonzalo Higuain (60.) und Joker Lorenzo Insige (71.). Zur Erleichterung für die schwarz-gelbe Fan-Gemeinde traf aber nur Insigne, der auch schon beim 1:2 im Hinspiel im Stadio San Paolo ein Tor beigesteuert hatte. Callejon dagegen scheiterte am Pfosten, Higuain am glänzend aufgelegten Neu-Nationaltorhüter Roman Weidenfeller – unmittelbar vorm zweiten Treffer der Borussia. „Da stand das Spiel auf der Kippe“, gestand Trainer Klopp ein. Ein bisschen Glück gehört in Europa nun mal auch dazu.
Dortmund hatte es sich jedenfalls redlich verdient. Denn endlich funktionierte auch das gefürchtete Offensivspiel der Dortmunder wieder wesentlich besser. „Wir waren aggressiver als gegen den FC Bayern“, vermutete Marco Reus als Schlüssel des Spiels. Damit hatte der Nationalspieler wohl Recht, denn der BVB-Express erspielte sich nicht nur drei richtig gute Tormöglichkeiten wie gegen den Bundesliga-Spitzenreiter, sondern dieses Mal satte zehn – da fallen selbst beim Meister der Ineffizienz Treffer ab. Schon nach zehn Minuten hatte Reus per Foulelfmeter die frühe Führung erzielt und damit die Nerven ein wenig beruhigt. Weil aufgrund der speziellen UEFA-Arithmetik ein 1:0 aber unter Umständen nicht reichen würde in der Endabrechnung, war der BVB gezwungen nachzulegen. Noch im ersten Durchgang ließ Stürmer Robert Lewandowski zwei Riesenchancen liegen (15., 35.), Reus und Henrich Mchitarjan fanden ihren Meister in Gäste-Keeper Pepe Reina.
Lewandowski gibt den verkappten Spielmacher
Im zweiten Durchgang war der BVB dann in der Lage, das Tempo weiter anzuziehen und bewies, warum auch Neapels Trainer Rafa Benitez die Westfalen für die „konterstärkste Mannschaft Europas“ hält. Zwar gingen von Nuri Sahin im Mittelfeld kaum Impulse aus, und auch Sebastian Kehl wirkte nach seiner gut drei Monate langen Startelf-Pause eher wie ein Fremdkörper. Dafür sprangen andere in die Bresche. So wurde Mchitarjan von Minute zu Minute stärker und spielte sich den Bayern-Frust aus den Beinen. Immer wieder setzte der Armenier zu starken Soli an und hatte mehrfach Pech im Abschluss. Auch das Zusammenspiel mit den Teamkollegen klappte so viel besser als noch zuletzt. Selbst wenn letztlich Reus das 2:0 durch Jakub Blaszykowski (60.) auflegte – die Mehrzahl aller Konter des BVB lief über ihn. Nach zuletzt schwankenden Leistungen und miesen Noten im Bundesliga-Gipfel kämpfte sich Mchitarjan zurück und verdiente sich ein Sonderlob vom Trainer. „Er macht das toll. ‚Miki‘ lernt sehr schnell.“ Klopp ist sich sicher, dass der neue Mittelfeldregisseur schon bald viel regelmäßiger zu Auftritten dieser Qualität fähig ist.
Auch Lewandowski zeigte ein klasse Spiel. Vor dem Tor bleibt er zurzeit in Rätsel – da hat ihn einfach die Kaltschnäuzigkeit verlassen. Aber immerhin holte er den Elfmeter heraus. Und was der polnische Nationalstürmer in der zweiten Halbzeit für den Spielaufbau leistete, wie er sich in diese Partie gegen die kompromisslosen Süditaliener reinkniete, das war aller Ehren wert. Instinktiv ließ er sich immer wieder ins Mittelfeld zurückfallen, schuftete dort wie ein Wilder und gab einen verkappten zweiten Spielmacher. Zwei mal bereitete er perfekt vor für Pierre-Emerick Aubameyang, den zweiten – wesentlich anspruchsvolleren – Versuch nutzte der Joker dann in der 78. Minute zum 3:1, das Dortmund alle Möglichkeiten lässt, auch im kommenden Frühjahr auf der ganz großen Bühne zu spielen.
Borussia sinnt auf Revanche in Südfrankfreich
Dazu muss und will sich der weiterhin ersatzgeschwächte BVB nun an der Aufgabe Marseille abarbeiten. Sollte das Weiterkommen alleine für die Westfallen nicht genügend Motivation sein, hilft ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Vor zwei Jahren kassierte Dortmund im Stade Velodrom durch ein 0:3 die höchste Champions-League-Niederlage der Vereinsgeschichte. Klopp gibt die Marschrichtung vor: „Wir haben das Gefühl, dort noch etwas gutmachen zu müssen.“