Für Borussia Dortmund und seinen Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke heißt es noch ein letztes Mal: durchatmen und entspannen vor der Woche der Wahrheit. In der Bundesliga stehen die heißen Duelle mit dem FC Bayern und Schalke 04 an, dazwischen wartet der FC Arsenal in der Champions League. Wir erwischen den BVB-Chef vor der Länderspiel-Gala der deutschen Nationalmannschaft gegen Holland in der Lobby seines Hamburger Nobelhotels, dem legendären Atlantic.
In der exklusiven Smoker‘s Lounge zündet sich Watzke, relaxt in Jeans und Pulli, einen ersten von drei Zigarillos an und lässt sich ins tiefe, braune Ledersofa fallen. Frei nach dem Motto: Dann legt mal los, Feuer frei. Im t-online.de Interview erzählt der BVB-Chef, warum die Sonderstellung des Konkurrenten FC Bayern auf alle Zeiten zementiert ist, wieso die Königsklasse auch für einen amtierenden Meister Dortmund nicht selbstverständlich sein darf und was sein amerikanischer Albtraum ist.
Herr Watzke, entscheidet das Spiel in München schon über die Titelverteidigung des BVB?
Hans-Joachim Watzke: Der FC Bayern wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Deutscher Meister. Das war uns lange vor diesem 13. Spieltag klar. München präsentiert sich bislang in allen Wettbewerben unglaublich stabil, das macht ihre Klasse aus. Es wird für jeden Klub extrem schwer, Bayern den Titel streitig zu machen. Aber es ist nicht unmöglich. Die Münchner werden am Sonntagabend jedenfalls nicht acht Punkte Vorsprung haben. Vielleicht vor Borussia Dortmund, aber nicht vor Schalke oder einem anderen Verfolger.
Ein Schwarz-Gelber sieht Schalke als Bayern-Jäger? Werden Sie altersmilde?
(lacht) Man wird gelassener. Die Königsblauen werden jedenfalls Nürnberg schlagen.
Bundesliga
Rückblende: War Ihnen nach dem spektakulären 3:1-Sieg in München in der vergangenen Saison endgültig klar, dass es mit der siebten BVB-Meisterschaft klappen wird?
Eigentlich schon. Jürgen Klopp, Michael Zorc und ich haben in der Woche vor dem Spiel bei mir in der Küche gehockt und gesagt: Wenn wir gewinnen, gehen wir in die Offensive und geben den Titel öffentlich als Ziel aus. Zu dem Zeitpunkt war die Vorentscheidung gefallen.
Wie ist die Situation in diesem Jahr?
Ganz anders. Die Bayern sind um ein Vielfaches stärker. Sie haben inzwischen den wohl besten Torwart der Welt, Manuel Neuer, und in Jerome Boateng einen verlässlichen Abwehrspieler mit der nötigen Statur dazubekommen. Der wichtigste Neuzugang ist aber Jupp Heynckes. Er versteht es, die Fähigkeiten seiner Spieler systemkompatibel zu machen. Bei Louis van Gaal hatte ich eher den Eindruck, dass alles dem System untergeordnet wird. In der vergangenen Saison hat es bei den Bayern an allen Ecken und Enden geknirscht. Vom Vorstand über den Trainer bis zum Team.
Davon ist jetzt nicht mehr viel zu spüren, oder?
In dieser Spielzeit hat man wirklich den Eindruck, dass alles passt. Daher ist es schwer, an den Bayern vorbeizukommen. Aber: Wenn wir einen guten Tag erwischen, müssen wir uns vor keinem Team verstecken. Wir fahren mit Respekt nach München, jedoch ohne Angst.
Sie haben vor einigen Jahren die These aufgestellt, nur der FC Bayern habe das natürliche Recht, vor Borussia Dortmund zu stehen.
Das war im September 2006 auf unserer außerordentlichen Aktionärsversammlung. Damals habe ich gesagt, bis 2011 müssen wir eine Situation schaffen, in der nur der FC Bayern das natürliche Recht für sich reklamieren kann, dauerhaft vor dem BVB zu stehen. Im Nachsatz habe ich hinzugefügt, dass wir mit Klubs wie Schalke, Hamburg, Stuttgart oder Bremen wieder auf Augenhöhe sein wollen. Dafür habe ich mir damals viel Spott eingehandelt.
Warum gestehen Sie den Münchenern dieses Recht eigentlich zu?
Weil es die logische Konsequenz der Ausnahmestellung des FC Bayern in der Bundesliga ist. Das gibt es in keiner anderen Liga in Europa. Überall sonst sind mindestens der Erste und der Zweite auf fast gleichem Niveau. Das ist in Italien so mit den Teams aus Rom und Mailand; das ist in England so mit den beiden Manchester-Klubs und Chelsea; in Spanien ist das sowieso der Fall mit Real Madrid und dem FC Barcelona. Nur bei uns kommt der Branchenprimus auf ein Umsatzvolumen von 350 Millionen Euro und wir gerade mal auf 150 Millionen. Das ist weniger als die Hälfte! Wer 200 Millionen Euro mehr Umsatz macht, kann auch 80 Millionen Euro mehr im Jahr an Gehalt ins Team stecken. Deshalb hat München eine Spitzenstellung in Deutschland, die einmalig ist. Das lässt sich nicht negieren.
Diese Ausnahmestellung ist für alle Zeiten zementiert?
Weitestgehend, ja. Die Münchner leisten seit Jahren hervorragende Arbeit, aber sie haben auch strukturelle Vorteile, die nicht aufzuholen sind. Ziehen sie mit einem Zirkel einen Kreis um München mit dem Radius von 150 Kilometern. Innerhalb dieses Kreises finden sie nur: den FC Bayern. Wenn sie das Gleiche bei uns machen, haben sie noch…
…Schalke, Köln, Gladbach, Leverkusen…
…und noch ein paar andere. Der Sponsorenkuchen, der im Bundesland Bayern schon alleine aufgrund der Wirtschaftskraft doppelt so groß ist wie in Nordrhein-Westfalen, gehört den Münchnern ganz alleine. Dagegen wird die größte Einnahmequelle in unserem Großraum gleich auf fünf, sechs Klubs aufgeteilt. In den nächsten zehn Jahren werden wir weder erreichen, dass NRW so reich wird wie Bayern, noch, dass Borussia Dortmund ein Alleinstellungsmerkmal in seinem Bundesland bekommt.
Besserung ist also nicht in Sicht?
Dauerhaft ein finanzielles Gleichgewicht herzustellen, funktioniert nur mit Fremdkapital, und am Ende geht jedem die Luft aus. Alles andere würde übrigens auch bedeuten, dass die Bayern-Konkurrenz kollektiv blöd wäre. Nachweislich hat es kein Klub in den letzten dreißig Jahren geschafft, auf Dauer mitzuhalten. Es ist systemimmanent.
Es geht für die Widersacher der Bayern also im Prinzip nur darum…
…die Lücke nicht noch größer werden zu lassen, genau. Oder wenn es optimal läuft, ein kleines bisschen aufzuholen.
Wie kann man das schaffen?
Man kann den Bayern eine Saison Paroli bieten und sie auch sportlich überflügeln. Das hat unsere Meisterschaft gezeigt. Aber letztlich hängt alles an den Finanzen. Geld schießt keine Tore, aber erhöht sehr wohl die Wahrscheinlichkeit, dass welche fallen. Nehmen Sie Manchester City in England. Die spielten vor fünf Jahren keine Rolle. Nun sind sie Tabellenführer der Premier League. Oder Paris St. Germain, jahrelang ein halb toter Klub. Nun schießt ein Araber Geld zu, und sie stehen oben. Das ist alles kein Zufall. Für uns gilt: Wir müssen nachhaltig arbeiten, unser Geschäftsmodell weiterentwickeln, Umsätze erzielen und Geld verdienen, damit die Schere nicht weiter aufgeht.
Was meinen Sie konkret mit nachhaltigem Arbeiten?
Dass man an seinem Modell festhält. Unsere Strategie ist: Wir wollen maximalen sportlichen Erfolg, ohne dafür neue Schulden zu machen. Daran orientiert haben wir unsere Philosophie verankert: mit jungen Spielern ein laufintensives, vertikales Spiel zu etablieren.
Was spricht dafür, dass der BVB kein One-Hit-Wonder bleibt, sondern wieder länger in der Lage ist, die Bayern zu ärgern?
Zum Beispiel, dass wir aktuell wieder auf dem zweiten Tabellenplatz stehen, wenn auch mit fünf Punkten Rückstand. Aus wirtschaftlicher Sicht, dass wir unsere Erlösstruktur verbessert haben. Wir haben den Weg in die Königsklasse nicht mit Schulden erkauft, sondern Gewinn gemacht!
Das bedeutet?
Wir können es uns leisten, Angebote für wichtige Spieler abzulehnen. Andere Teams in ähnlicher Situation haben ihre Leistungsträger verloren. Das ist Wolfsburg mit Edin Dzeko so ergangen, Stuttgart mit Mario Gomez und Bremen mit Diego. Diesem Trend haben wir uns entgegengestemmt. Angesichts des großen Interesses an unseren Spielern war das eine enorme Leistung.
Nuri Sahin konnten Sie nicht halten.
Das war ein Verlust, keine Frage. Wir hoffen, dass wir seinen Abgang auf Dauer kompensieren können. Ein Spieler geht leider immer.
Es würde das nachhaltige Arbeiten vermutlich extrem stärken, erneut in die Champions League zu kommen.
Sportlich wäre das schön, aber wirtschaftlich ist es keine Notwendigkeit. Wir können auch mit der Europa League gut leben.
Aber auch die Ansprüche der Spieler wachsen. Dortmunds umworbenes Talent Mario Götze hat geäußert, möglichst immer Champions League spielen zu wollen.
Wenn er was anderes sagen würde, wäre er auch der Falsche für uns. Wir brauchen ehrgeizige Spieler. Marios Äußerungen sind legitim, solange er bei uns alles für dieses Ziel tut, und das macht er. Aber angesichts der Situation in der Bundesliga können wir keinen Stammplatz in der Champions League beanspruchen. Hinter den Bayern gibt es zurzeit drei freie Plätze für die Königsklasse. Aber es gibt allein zwei Dax-Konzerne mit anderen wirtschaftlichen Möglichkeiten, die ihr Bundesliga-Team in Europas höchstem Wettbewerb sehen möchten. Und es gibt Klubs, die von den Rahmenbedingungen her mit uns vergleichbar sind. Der Wettbewerb ist hart, und wir können einfach nicht sagen, wir sind immer dabei. Diese Arroganz haben wir nicht.
Das ist ein sympathischer Ansatz. Aber besteht nicht die Gefahr, dass sich der Deutsche Meister selbst zu klein redet?
Was wir sagen und was wir wollen, das sind ja manchmal zwei verschiedene Paar Schuhe. Niemand kann uns ernsthaft mangelndes Selbstbewusstsein vorwerfen. Aber wir müssen doch den Realitätssinn bewahren. Der sagt mir, dass fünf oder sechs Klubs hinter den Münchenern relativ nahe beieinander liegen und die Qualifikation für die Königsklasse keine Selbstverständlichkeit ist.
Ganz im Gegensatz zum…
…FC Bayern, genau. Aber selbst für den Branchenprimus hat es jüngst nur mit Ach und Krach geklappt im Endspurt gegen Hannover 96. Vielleicht können wir in fünf, sechs Jahren einen Punkt erreichen, an dem die Wahrscheinlichkeit gewachsen ist, den BVB regelmäßig in der Champions League zu sehen. Vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit und der Struktur der Anhängerschaft sehe ich das aber nicht.
Dennoch: Ist es nicht zu defensiv gedacht, Niederlagen bei Teams wie Olympique Marseille oder Olympiakos Piräus als Lehrgeld zu verniedlichen? Muss ein Deutscher Meister nicht den Anspruch haben, dort zu gewinnen?
Warum? Piräus spielt jedes Jahr Champions League. Die Mannschaft ist teurer als unsere. Borussia Dortmund ist kein klassischer Meister, sondern ein Sensationsmeister. Aus unserer jungen Mannschaft bringt einzig Sebastian Kehl Erfahrung in der Königsklasse mit. Zudem sind wir aus Lostopf vier gestartet, was uns das Leben dramatisch erschwert hat. Wären wir “normal” gesetzt gewesen bei der Auslosung zur Gruppenphase, hätten wir RC Genk oder Otelul Galati bekommen! Das heißt nicht, dass wir in Piräus verlieren müssen. Aber den Automatismus, dort auch zu punkten, gibt es nicht. Den gibt es nur bei Bayern.
Auch, weil der Rekordmeister weit über hundert Millionen Euro allein für sein Personal ausgibt, fast drei Mal so viel wie der BVB. Warum erregt diese gewaltige Summe so wenig Aufsehen in der Öffentlichkeit?
Die Insider kennen diese Zahlen natürlich. Aber wo ist das Problem? Wer 200 Millionen Euro mehr Umsatz macht, kann auch mehr für die Mannschaft ausgeben. Solange das seriös finanziert ist so wie in München, ist das völlig in Ordnung.
Eine Deckelung wie im US-Sport mit der so genannten Salary Cap ist für die Bundesliga nicht vorstellbar?
Davon halte ich überhaupt nichts. Sollen wir als nächstes noch den Abstieg abschaffen, um die Planungssicherheit zu erhöhen? Das wäre für mich das Ende des Sports.
Das Interview führte Patrick Brandenburg, 18. November 2011