Der Ganz-Nebenbei-Spitzenreiter

Beim Schützenfest gegen den SC Freiburg überrollt Borussia Dortmund den nächsten Bundesliga-Gegner. Dass der BVB den besten Saisonstart seiner Klubgeschichte weiter ausbaut, den Platz an der Sonne souverän verteidigt und ein Aushilfsverteidiger eine länderspielreife Leistung zeigt, geht fast ein wenig unter. Die klare Message an die Liga: Mannschaft und Fans haben in dieser Saison noch sehr viel vor.

Die Rausschmeißerfrage in der Pressekonferenz hatte das Zeug, Jürgen Klopp doch noch aus der Reserve zu locken. Wie ihm denn die Stimmung im Stadion gefallen habe, wurde der Trainer von Borussia Dortmund gefragt, und der BVB-Emotionsbolzen vermutete nicht ganz zu unrecht eine Falle. „Wetter, Publikum und Fußball – das Gesamtpaket hat gepasst“, konterte Klopp mit einem mittelgroßen Fragezeichen im Gesicht. Natürlich war die Atmosphäre vor erneut 80.000 Fans im früheren Westfalenstadion hervorragend – angesichts des höchsten Saisonsiegs der Dortmunder bei der 5:0-Gala über den SC Freiburg. Aber einen wahren Kern hatte die Frage wohl, denn genau wie der Vizemeister selbst scheinen sich auch dessen Fans für die ganz großen Momente dieser Saison sogar noch einiges aufzuheben.

Dortmund trotzt dem Verletzungspech
Der BVB hat sich zum Ganz-Nebenbei-Spitzenreiter entwickelt, im absolut positiven Sinne. Über den Erfolg wird zwar nicht in Mia-san-mia-Manier hinweggegangen, und weder Team noch Anhänger sind wirklich satt angesichts der traumhaften vergangenen drei Jahre. Ganz im Gegenteil, die Fans bekommen gerade eine wohlige Ahnung, was in den kommenden Jahren möglich sein könnte. Aber es macht auch keiner groß Aufhebens drum, dass der Klub im Jahr eins nach Mario Götze im Schnitt drei Tore in der Bundesliga erzielt; dass der Verein nach sieben Spieltagen erstmals in seiner Geschichte nahezu optimale 19 Punkte hat; oder dass er knapp vorm FC Bayern die Tabelle anführt, obwohl der Branchenprimus gerade drauf und dran ist, die historische Serie von 36 ungeschlagenen Spielen zu knacken, die der Hamburger SV in seinen glorreichen Achtziger-Jahren aufstellte. Vor zwei Jahren hätten die schwarz-gelben Fans bei einer solchen Konstellation noch das Stadion abgerissen vor Freude und von besonnenen Stimmen eingefangen werden müssen.

Drei Tage vorm ersten Heimspiel der Gruppenphase der Champions League gegen Olympique Marseille war der BVB gegen den völlig überforderten SC Freiburg mühelos in der Lage, sich trotz momentan großen Verletzungspechs für die Königsklasse warm zu schießen. Ohne die Langzeitverletzten Lukasz Piszczek, Ilkay Gündogan, Sebastian Kehl und nun auch Marcel Schmelzer, der sich beim Abschlusstraining einen Muskelfaserriss zuzog und drei Wochen lang das BVB-Lazarett erweitern wird, kamen die Westfalen zu einem nie gefährdeten Erfolg.

In der zweiten Hälfte regelrecht seziert
Der BVB war zudem erneut fähig, neue Helden aus dem Hut zu zaubern – und damit sind noch nicht einmal die Doppeltorschützen Marco Reus oder Robert Lewandowski gemeint. Gegen Freiburg war es vielmehr Umschüler Kevin Großkreutz mit einer länderspielreifen Leistung. Falls der Bundestrainer wirklich daran denkt, DFB-Kapitän Philipp Lahm aus der Viererkette ins Mittelfeld abzuziehen – ein Ersatz als rechter Außenverteidiger stünde bereit. „Kevin macht gerade eine tolle Entwicklung durch. Wirklich überragend“, ließ sich Klopp zu einem Sonderlob für seinen Allrounder hinreißen. Großkreutz fährt zurzeit etliche Sonderschichten im Training, um noch besser in Form zu sein als ohnehin, verriet der Trainer außerdem. Gegen Freiburg rannte der Ur-Borusse wie das berühmte Duracell-Häschen unermüdlich den Platz rauf und runter. Er gewann mit Abstand die meisten Zweikämpfe aller Akteure auf dem Platz und war insgesamt fast elf Kilometer unterwegs. In einer Szene überholte er sogar kurzerhand den taktisch vor ihm postierten Jakub Blaszczykowski, der als Joker doch eigentlich viel frischer hätte sein müssen. Großkreutz bereitete Angriff um Angriff des BVB vor, so dass es keinerlei Argumente gab, wer den Rasen als Sieger verlässt.

„Das Ergebnis hätte auch noch höher ausfallen können“, gab Gäste-Trainer Christian Streich angesichts von aus seiner Sicht 2:27 Torschüssen freimütig zu. Vorm Gegenpressing-Spektakel der Hausherren zog er den Hut. „Wir sind von einer eingespielten Mannschaft in der zweiten Hälfte regelrecht seziert worden.“

Die Vollgasfußballer treten das Gaspedal weiter durch
Dabei hatte die Borussia zur Halbzeit auch noch Sven Bender verloren. Der Marathon-Mann ließ sich vorsichtshalber auswechseln, nachdem er mit Schmelzer-Ersatz Erik Durm bei einem Kopfball zusammengerasselt war und Prellungen zu beklagen hatte. Aber zu diesem Zeitpunkt war die Messe längst gelesen in Deutschlands schönster Fußball-Kathedrale. „Nach der Roten Karte und dem Elfmeter in der 45. Minute war das Spiel entschieden“, sagte Klopp. Nationalspieler Reus hatte mit seinen beiden Toren vor der Halbzeit alles klar gemacht. Beim ersten Treffer staubte er nach Benders Gewaltschuss cool ab (35.), den zweiten versenkte er im Duell vom Punkt ebenso souverän. Dass die Entscheidung von Schiedsrichter Markus Schmidt zu hart war, Freiburgs Innenverteidiger Fallou Diagne für den Trikotzupfer gegen Robert Lewandowski doppelt zu bestrafen, dürfte dem BVB-Star reichlich egal gewesen sein.

Die Partie wurde damit endgültig zum Einbahnstraßenfußball, aber trotz der anstehenden wichtigen Aufgabe in der Königsklasse nie eine langweilige Angelegenheit. Das lag daran, dass „die Jungs richtig Bock entwickelt haben“, wie Klopp anerkennend formulierte. Oder mit Reus’ Worten: “Ein 2:0 oder 3:0 reicht uns nicht, wir wollen immer einen nachlegen.” Während im Süden der Republik die beste Mannschaft Europas vom eigenen Sportdirektor selbst nach einem Sieg schon mal „Dienst nach Vorschrift“ vorgeworfen bekommt, geht der BVB einen völlig anderen Weg. Nachdem das Standgas-Experiment beim ärgerlichen Punkteverlust in Nürnberg jüngst schief gegangen war, besinnt sich die Borussia wieder auf ihre Stärken. „Wir wollten einen hohen Rhythmus gehen und zeigen, dass die Arbeit Spaß macht“, erklärte Klopp. Obwohl in Blaszczykowski und Jonas Hofmann nach dem Wechsel noch zwei weitere Neue ins Spiel geworfen wurden, traten die Vollgasfußballer das Gaspedal einfach weiter durch.

Aubameyang und der Tag in der Sonne
Noch drei Minuten vor dem Ende musste sich Freiburgs Immanuel Höhn von Dortmunds Edelreservisten Oliver Kirch an die eigene Eckfahne drängen lassen. Da stand es längst 5:0, nachdem Lewandowski mit seinen Saisontoren fünf und sechs (58., 70.) zur Spitze in der Torjägerliste aufgeschlossen hatte. Auch Blaszczykowski holte sich noch ein Erfolgserlebnis ab (79.). Allein Pierre-Emerick Aubameyang dürfte den Samstagnachmittag in der Sonne nicht uneingeschränkt genossen haben. Alle sieben Torschüsse gingen dem Gabuner daneben, einige nur furchtbar knapp. Aber auch er durfte sich nach dem Spiel unter „Spitzenreiter, Spitzenreiter“-Rufen vor der Südtribüne feiern lassen. In aller Kürze versteht sich, denn die nächste wahre Eruption der Freude in Westfalen ist eigentlich erst für Dienstag geplant, wenn der Neapel-Ausrutscher in der Champions League repariert werden soll.

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