Herr Özil sucht sein Glück

Zwei Spiele, zwei Siege – doch die Helden im DFB-Team sind immer die Anderen: Warum Mesut Özil noch nicht ins Turnier gefunden hat.

Es sind immer diese Kleinigkeiten, nur wenige Zentimeter, die letztlich über ein Turnier entscheiden, über ein Spiel oder auch darüber, wie einzelne Spieler wahrgenommen werden. Es sind die Konjunktive, das „hätte, wäre, wenn“, das Erfolg und Misserfolg so dicht beieinander stellt. In Mesut Özils Fall etwa: Wäre sein sehenswerter Volley nicht vom Pfosten in die Arme von Holland-Keeper Maarten Stekelenburg gefallen, würden die Fußballfans heute nicht von Mario Gomez oder Mats Hummels schwärmen, sondern vom jungen Real-Madrid-Heroen, dessen Krönungsmesse stattdessen auf sich warten lässt.

Der deutsche Spielmacher ist mit großen Hoffnungen in dieses Turnier gegangen, doch bislang sind es folgende Bilder, die vom Mittelfeldstar bleiben: wie er verzweifelt die Arme in die Luft wirft und um Beistand fleht; wie er um Freistöße oder Elfmeter bittet; wie er einen misslungenen Pass mit den Händen gerade ziehen will. Oder als letzter Eindruck: wie er zu Boden blickend vom Platz trottet. In den beiden ersten DFB-Gruppenspielen blieb der Hochbegabte jedenfalls hinter den Erwartungen zurück und wurde jeweils gegen Münchens Toni Kroos ausgetauscht, als es in der kritischen Schlussphase um Alles ging.

Dabei trifft den 23-Jährigen noch nicht einmal die Schuld. Beim EM-Auftakt gegen Portugal wurde der Regisseur Opfer der Defensivstrategie. Weil der Bundestrainer seinen geliebten Spektakelfußball zugunsten einer ergebnisorientierten Variante geopfert hatte, blieb im wörtlichen Sinne kaum Spielraum für einen Ballzauberer wie Özil. Außerdem konnten seine Mitspieler noch nichts mit den Pässen anfangen. Thomas Müller war zwar bemüht, fand aber den Dreh aber erst eine Partie später. Lukas Podolski war mit einigen Distanzschüssen noch der beste Offensivspieler, wirkte aber manchmal nicht gedankenschnell genug. Und auch der spätere Matchwinner Mario Gomez war keine dankbare Anspielstation, obwohl er diesen Eindruck durch seinen späten Treffer verwischte.

Merkwürdigerweise profitierte Özil aber auch nicht vom rapiden Formanstieg seiner Offensivkollegen im Prestigeduell mit den Holländern. Die meisten gefährlichen Offensivaktionen gingen von Bastian Schweinsteiger aus, der im Mittelfeld klar das Zepter in der Hand hielt. Selbst Abwehrchef Hummels schien bei einigen Ausflügen in die Spitze gefährlicher. Özils Schaffen blieb auf den unglücklichen Volley in der 8. Minute beschränkt. Und auf einen tollen Freistoß, den Innenverteidiger Holger Badstuber selbst aus bester Position nicht im Tor unterbringen wollte. Dabei boten sich gerade im zweiten Durchgang große Räume gegen die verzweifelt um ihre Turnierchance spielenden Holländer. Für einen Konterspieler wie Özil eigentlich wie geschaffen. Die Kritik des Bundestrainers war folglich auch auf seinen Spielgestalter gemünzt, wenn auch nicht ausdrücklich: „In der 60. Minute waren die Holländer schon tot. Da hätten wir das dritte Tor machen müssen.“

Dabei soll Özil, so der Plan seines Umfelds, bei dieser EM zum Helden und zur eigenen Marke aufgebaut werden. Sozusagen zum ersten Multikulti-Superstar oder zum Zinedine Zidane des deutschen Fußballs. Dazu hat Özils Familie kürzlich den umtriebigen Berater Roland Eitel engagiert, der das Zahnpasta-Lächeln des früheren Bundestrainers Jürgen Klinsmann im öffentlichen Bewusstsein verankerte, und der auch Özils aktuellen Chef, Joachim Löw vertritt. Vielleicht erweist sich nun genau dieser Druck als kontraproduktiv. Zuletzt jedenfalls hatte sich Özil – „nur“ mit väterlichem Rat ausgestattet – prächtig entwickelt und als Meisterspieler beim Weltklub Real Madrid etabliert.

Aus Danzig berichtet Patrick Brandenburg, 14. Juni 2012

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