In der Verteidigung unüberwindbar, zwingend und kreativ im Spiel nach vorne: Der Dortmunder widerlegt beim Sieg über Portugal seine Kritiker.
Eigentlich war es die perfekte Chance für Mats Hummels, noch einmal den Besserwisser rauszukehren. Unmittelbar nach dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal war der Verteidiger wortlos an den Journalisten vorbeigezogen und genoss den Augenblick. Doch schon am Tag nach seinem großartigen Länderspiel hatte er das süffisante Lächeln abgelegt und begegnete seinen Kritikern auf der Bühne der DFB-Pressekonferenz in größtmöglicher Demut: „Ich bin froh, dass ich spielen durfte und meinen Teil zum Erfolg beitragen konnte.“ Was für ein Understatement nach einer Partie, mit der sich Hummels aller Wahrscheinlichkeit nach zum Stammspieler entwickelt hat!
Denn auch wenn Mario Gomez sich beim 1:0-Sieg als Matchwinner feiern ließ und Mesut Özil als bester Spieler der Partie geehrt wurde – der wahre Held des Abends in Lwiw war Hummels. Der Verteidiger zeigte seine mit Abstand beste Leistung im Nationaltrikot und war der stärkste Spieler auf dem Platz. Von Zweikämpfen über gewagte Flügelwechsel bis hin zu Ausflügen in die gegnerische Hälfte: alles schien dem Double-Sieger an diesem Abend zu gelingen. „Endlich“ muss man fast sagen, denn die Diskrepanz zwischen überragenden Auftritten im Dress von Borussia Dortmund in der Bundesliga und zuvor 14 meist mäßigen Vorstellungen in Schwarz und Weiß hatte schon so manchen Fan zur Verzweiflung gebracht und viele Fußballexperten zu heftiger Kritik.
Zu denen gehörte bis zuletzt sogar der Bundestrainer. „Wir spielen hier nicht gegen Nürnberg oder Hoffenheim“, hatte Joachim Löw noch vor wenigen Tagen gleich die komplette Dortmunder Meister-Fraktion im DFB-Kader abgekanzelt. Doch diese Einschätzung dürfte im deutschen Tross nun der Vergangenheit angehören. Selbst Verbandspräsident Wolfgang Niersbach war tief beeindruckt: „Ich habe mich wahnsinnig gefreut über die Leistung von Mats Hummels.“
Dabei war dieser erst in letzter Minute für Per Mertesacker in die Startelf gerückt. „Am Abend vorm Spiel habe ich davon erfahren. Aber ich hatte vorher schon ein wenig gehofft und auch geahnt, dass es so kommt.“ Als absoluter Souverän überstrahlte der clevere 23-Jährige die Abwehr, die gegen Portugal zum besten Mannschaftsteil aufstieg. Wie sonst regelmäßig beim BVB glänzte Hummels im Duell Eins-gegen-Eins ohne Foulspiel, antizipierte Bälle, und entwickelte mit zunehmender Spieldauer zudem unglaublich viel Drang nach vorne. Als es in der deutschen Offensive hakte, preschte Hummels mit nach vorne, schlug raumöffnende Pässe – und setzte sich einige Male auch erfolgreich über die Vorgabe von Bundestrainer Joachim Löw hinweg, entgegen seiner BVB-Manier gefälligst nur flach in die Spitze zu spielen.
Das deutsche Spiel profitierte enorm von diesen Fähigkeiten, mit etwas mehr Glück hätte sich aus einem von Hummels eingeleiteten Angriff ein Tor ergeben können. Doch leider kamen beim Arbeitssieg über Cristiano Ronaldo und Co. die anderen DFB-Kicker nicht an Hummels Form heran. Das wollte der Teamplayer natürlich nicht so stehen lassen. Großzügig reichte er sämtliche Lobeshymnen an die Kollegenschaft weiter und vergaß dabei keinen. „Alle haben gut nach hinten gearbeitet. Und manchmal braucht man eben noch einen so starken Torwart, wie wir ihn in Manuel Neuer haben.“ Auch von einer vermeintlichen Führungsrolle an seinem Vierer-Arbeitsplatz wollte der neue DFB-Held nichts wissen. „Abwehrchef? Den Begriff gibt es doch nur in der Öffentlichkeit.“
Endlich zeigte Hummels auch auf internationalem Niveau, was in ihm steckt. Gegen Portugal wurde einmal mehr klar, warum der BVB so glücklich ist, ihn bis 2017 in den eigenen Reihen zu wissen, und warum sich die Bayern mächtig ärgern, ihn zum erwachenden Liga-Rivalen ziehen gelassen zu haben. In den vorherigen Spielen im Nationalteam wirkte er dagegen oft gehemmt, unglücklich und ohne Selbstvertrauen. Bei den teilweise peinlichen Auftritten seines BVB in der Champions League passte sich selbst der Souverän der Dortmunder Abwehr den schlechten Teamleistungen an. Wie etwa bei den Auftritten gegen Arsenal London, in deren Diensten sein voraussichtlich nächster Gegenspieler steht. „Gegen Robin van Persie habe ich in zwei Spielen drei Tore zulassen müssen“, grämte sich Hummels noch heute. Diese Rechnung gegen Hollands Stürmerstar ist noch offen.
Aus Danzig berichtet Patrick Brandenburg, 10. Juni 2012